Das ist doch traurig. Da sitzt man in fröhlicher Runde zusammen: Es ist schön. Ein gemütlicher Abend und dann geht einer raus, um ein wenig für sich zu sein und sich dort dann schlecht zu fühlen.

Das bin ich, war ich schon immer. Bei den Geburtstagen im August wollte einer dann alleine Sternschnuppen schauen. Bei Silvesterparties ging einer vor die Tür und legte sich auf die Hausbank. Einer, der sich wünscht, sie würde mitkommen, würde sich mit ihm abtrennen und einen neuen, kleineren Kreis gründen.

Am Abend auf der Hütte am Berg: Das selbe Spiel.
Drinnen angenehm, gemeinschaftlich warm, draußen der einsame Schnee und die eisige Kälte am Gipfel. Ich will gar nicht unbedingt weg, aber sie ruft. Es zieht mich raus, um alleine auf der abgelegenen Bank zu sitzen; um dort auf Gedanken zu warten und vor allem die Sehnsucht zu spüren. Und wieder einmal: Niemand kommt, nur sie. Erstmal keine Gedanken, nur die Sehnsucht. Meine Vorbotin unerschütterlicher Treue und leidenschaftliche Begleiterin. Verlässlich, wie eh und je, bleibt sie, blickt mit mir in die Ferne, sieht die Wolken über die Hänge ziehen. Eine zu kleine Familie. … Noch.

Dann kommen Gedanken: Wie würde ich mich fühlen, wenn hier keine Hütte wäre, wenn ich wirklich ganz alleine wäre? Würde mir die Kälte mehr zu schaffen machen? Würde ich verzweifeln, aber den nächsten Schritt machen? Metamorphose?

Ich blicke mich um, ob nicht irgendjemand bemerkt, dass ich anders bin. Sie sehen es nicht. Haben es nie gesehen.
Ich sitze doch jetzt hier… ganz allein. Da könnten schon mal Lösungen kommen. Sie kommen nicht. Sind nie gekommen. Auch das weiß ich mittlerweile.
Ich starre weiter auf die Schneefelder. Immerhin habe ich heute nicht diese schmerzhafte Hoffnung, dass sie rauskommt, weil ich diese, nicht jene, verloren habe. Wahrscheinlich sitzt diese gerade zuhause, meint, ihr Zauber wäre vergangen, weiß nicht, dass sie sich damit selbst beraubte. Oder sie hat ihn einfach nur vergessen, verliehen und ist ihm entwachsen. — Armer, hässlicher, aber mit viel Liebe gestrickter Pulli.

Ich weiß, was ich in solchen Sehnsuchts-Situationen für gewöhnlich denke:
Jetzt könnte es doch geschehen. Jetzt könnten doch Wunder wirken, Geschichten entstehen, die es wert sind, erzählt zu werden. All das Warten könnte belohnt werden.

Aber: Heute nicht. Heute will die Sehnsucht nur gesehen werden, weil ihr der Moment so passend scheint. Will mich wissen lassen, dass es sie noch gibt. Auch das wusste ich bereits. Meine treue Begleiterin wollte sich einfach nur mal wieder blicken lassen, um sicherzugehen, dass ich sie nicht vergesse. Aber, liebe Sehnsucht, du weißt doch — wie jenes Prager Mädchen an der Stange — heute wäre es unglaubwürdig, plumpe Versprechungen zu machen. In deiner heutigen Rolle darfst du nur locken, kein Hoffen auf schnelle Erlösung schaffen, kein Hoffen auf ein baldiges Mehr. Ja, sie weiß es und fragt: Aber wann dann? Wann dann?

Ich schlucke.

Dann stehe ich auf, schaue um die Ecke und sehe die Wirtin vor der Tür. Der Anblick berührt mich. Sie sitzt da mit einer Wanderin, raucht ihre Zigarette und schaut in die Berge, hört nicht einmal mit einem halben Ohr zu, weil sie das Gespräch schon zig Mal geführt hat. Hat gelernt, auf diese Fragen zu antworten, das Gespräch am Laufen zu halten und parallel eigenen Gedanken nachzuhängen. Welche Gedanken das wohl sind?

Ich setze mich wieder auf meine versteckte Bank. Sehnsucht und ich starren in die Ferne.