Gegen den Schnelllesehype: Der Wert langsam zu lesen.

Und ich renne durch die Straßen, denn Zeit muss man sparen — warum?
Weil man eines Tages keine mehr haben wird
.” — NMZS

Weil ich wusste, dass Podcasts auf dreifacher Geschwindigkeit abgespielt werden konnte, begann ich mich über die langsamen YouTube-Videos in doppelter Geschwindigkeit zu ärgern.

Ich würde jetzt gerne sagen: “Und da wurde mir klar, dass ich es zu weit getrieben hatte.” Dem war aber noch nicht so. Erstmal trieb ich noch ein wenig weiter. Immerhin hört Tom Bilyeu sogar unter der Dusche Hörbücher in dreifacher Geschwindigkeit. — Ich hatte noch nicht einmal in normaler Geschwindigkeit unter der Dusche Hörbücher gehört. —

Kopf: “Wer bildet sich denn heutzutage nicht unter der Dusche weiter?! Mehr Anstrengung!”

Tom Bilyeus Idee in Kurzform:

Ideas In = Ideas Out (Mehr dazu in seinem Artikel)

→ Je mehr Ideen du tangierst, desto mehr Verbindungen erlaubst du, deinem Gehirn zu machen.


Als mich das Gefühl überkam, dass ich im Begriff war, mich da mal wieder in etwas zu verrennen, versuchte ich dieses Empfinden als Indikator zu nehmen und stellte mir folgende Frage:

Sollte man vielleicht differenzieren?

Mal ganz abgesehen davon, dass differenzieren auf unterschiedlichen Ebenen vor Urteilsspruch”* auf der Society-Development-To-Do-List definitiv ein paar Plätze nach oben rutschen sollte, könnte das auch für das Thema Schnelllesen von Bedeutung sein.

Kurzexkurs

*Es ist so wichtig, noch “vor Urteilsspruch” — sogar wenn dieser nur innerlich geschieht — zu differenzieren, weil

  • es Kraft kostet falsche Urteile einzugestehen und
  • voreilige, undifferenzierte Urteile, mit höherer Wahrscheinlichkeit falsch sind als wohl-überlegte, differenzierte Urteile.

Wenn sich voreilige, undifferenzierte Urteile in einem Hahnenkampf wohl-überlegten, differenzierten Urteilen gegenüberstehen, dann heißt es auch bei der tagtäglichen Urteilsbildung: Suppenhuhn gegen Altenglischen Kämpfer.

Altenglischer Kämpfer — und Hahnenkampf von K.I.Z.

(Nicht ganz so)-Kurzexkursende

Also: Ganz abgesehen davon, dass Differenzierung immer toll ist, galt es auch beim Schnell- und Langsamlesen sowohl personen- als auch zielspezifisch zu differenzieren.

Personenspezifische Differenzierung

Weil Tom Bilyeu — nach eigener Aussage — sehr langsam liest und es scheinbar nicht zu seinen Stärken gehört, Informationen lesenderweise zu verarbeiten, begann er Hörbücher als Informationsquelle physischen Büchern vorzuziehen. Mit seinem Ansatz hatte er somit schon eine personenspezifische Differenzierung vorgenommen: Er testete, sah was funktionierte und was nicht zu funktionieren schien → Versuch-Irrtum-Methode. So merkte er bald: Seine Stärke lag auf einem anderen Gebiet: der schnellen auditiven Verarbeitung von Informationen. Diese nutzte er.

Daher: Einerseits sollte man das Schnelllesen nicht zu schnell auf die Irrtums-Müllhalde werfen, aber wenn deine Stärken nicht beim Schnelllesen liegen, frage dich, ob du nicht vielleicht mit einer anderen Herangehensweise effizienter zu deinem Ziel kommst.

Wie lernst du persönlich am besten?

Lernst du am besten in einem Gespräch? — Mit welchem deiner Freunde könntest du über das Thema sprechen? Wer kennt sich da aus? Kennst du über Freunde einen Experten auf dem Gebiet?

Lernst du am besten visuell? — Mach dir kleine Skizzen und Diagramme zu den Dingen, die du lernst und liest. Nutze Farben.

Lernst du am besten auditiv? — Dann sind Podcasts, Hörbücher etc. ein super Alternative.

Schon im Märchen vom Hasen und dem Igel, ließ sich der Igel nicht vom Hasen provozieren, sondern wusste um seine eigenen Stärken und Schwächen. Um den Hasen im Wettkampf zu schlagen, musste er nicht unbedingt schneller laufen. Das war nur eine Annahme, die der Hase nicht hinterfragte.

Daher: Hinterfrage mal die Annahme, dass du schnelllesen musst, um viele Informationen aufzunehmen.

Kostenloser Lerntypen-Test ist am Ende verlinkt.

Zielspezifische Differenzierung

Einerseits sollte man das Schnelllesen nicht zu schnell auf die Irrtums-Müllhalde werfen, aber wenn deine Stärken nicht beim Schnelllesen liegen, frage dich, ob du nicht vielleicht mit einer anderen Herangehensweise effizienter zu deinem Zielkommst.

Warum willst du Schnelllesen?

Willst du möglichst viele unterschiedliche Perspektiven eines Themas kennenlernen oder eher in ein Thema möglichst tief einsteigen? — Wie wärs mit einem besseren Auswahlprozess der Bücher, die du liest, anstatt nur die Anzahl der Bücher weiter zu maximieren?

Willst du möglichst viel erinnern? — Dann könnte Langsamlesen vielleicht viel eher der Schlüssel sein als Schnelllesen, weil du prozentual gesehen mehr behalten kannst und:

50% von 200 Seiten zu erinnern ist immer noch doppelt so viel wie 5% von 1.000 Seiten.

Oft wollen Menschen Schnelllesen, weil sie möglichst schnell viel lernen wollen. Dann hast du jetzt schon ein paar Gedanken mit an der Hand, wie dudich dem Ziel besser und schneller nähern kannst als mit Schnelllesen.

Viele tappen aber in die Ego-Falle: Schnelllesen, um möglichst viele Bücher gelesen zu haben. Wenn du also Schnelllesen willst, um möglichst viele Bücher gelesen zu haben, dann gestehe dir das ein. Wenn du mit Schnelllesen aber nicht auch mehr Informationen behältst, dann argumentiere bitte nicht: “Ich will schnelllesen, um möglichst schnell viel zu lernen.

Ein paar letzte Anmerkungen:

  1. Sieh Langsamlesen als Möglichkeit, Gedanken — im Kontrast zu aktivem Denken — kommen zu lassen. Womit assoziierst du das, was du gerade liest? Was für ein Bild poppt auf? Wo schweifen die Gedanken hin? Warum? Hat sich schon mal jemand mit der Verbindung befasst? So werden Themen noch interessanter.
  2. Besonders beim Lesen von belletristischer Literatur (Fantasybücher etc.) kommen mir oft die besten Ideen. Wenn du also bei einem Problem mit aktivem Denken so gar nicht weiterkommst, kannst du mit Langsamlesen und Gedanken-Kommen-Lassen zu einer kreativen Lösung kommen.
  3. Wenn alle anfangen schnellzulesen, dann ist es vermutlich Zeit langsamzulesen und tiefer in die Materie einzusteigen, statt nur alles oberflächlich anzuschneiden. Verstehen anstatt nur davon gehört haben.
  4. Ein Schlüssel zum Verstehen ist es, in Konstrukten zu denken, nicht auswendig zu lernen und wiederzugeben. Manchmal fügen sich Informationen sofort in bestehende Konstrukte ein, manchmal muss man die passende Form aber auch erst mühsam aus dem Stein meißeln, bis der berühmte Groschen reinfallen kann.

Lerntypen-Test: