Wieder zwei Stunden gelesen, unterstrichen und Notizen gemacht.

Foto von Greg Rakozy auf Unsplash

Nein, nicht gelangweilt die Augen über einen Bildschirm geschoben und verzweifelt versucht, sich wach zu halten, sondern gespannt auf die nächste Zeile, ein wenig Tempo rausgenommen, um dem Gehirn Zeit zu geben, das eben Gelesene zu verarbeiten. Nach komplizierten Sätzen gefragt: Hab ich das jetzt nur gelesen oder auch verstanden? — Bei innerlichen “JA!”s und “Ohooo überaus relevant”s werden dicke, schwarz ausgemalte Ausrufezeichen neben den Text gemalt.

Aus: Reinventing Organizations; für das Verständnis aber wohl noch besser geeignet: die visuelle Version.

So wird das Buch gelber, ausrufegezeichneter und spätestens auf jeder dritten Seite sind kleine Notizen zu sehen, aber gefühlt bleibt nichts hängen. … Nun nichts ist vermutlich falsch, aber wenn ich zwei Stunden Anstrengungen betreibe, dann will ich danach nicht nur einen neuen Gedanken aufgegriffen haben, bei dem ich nun — wenn ich nicht zu beschäftigt wäre herauszufinden, wie ihn der Autor weiterdenkt — beginnen könnte, weiterzudenken.

Dann fragt man sich: “Entweder bin ich einfach endlos blöd, weil nichts hängen bleibt, oder doch zu faul, selbst zu denken?” Aber dieses “Selbstdenken” klappt irgendwie selten auf Befehl, das geschieht mehr so dazwischen. Im Rauschzustand?… da hab ich doch mal was dazu geschrieben? Oder nicht? Sollte ich das verlinken? … Ach, nein, das ist ein noch nicht fertiggestellter Artikel, mit dem ich nicht zufrieden bin.* — Das zeigt eigentlich ganz gut, was ich meine: Oft weiß ich abends, wenn ich ins Bett gehe nicht, was ich eigentlich den ganzen Tag gemacht habe. Chaos im Kopf: Was war wann? Wer hat was erzählt? Wo hatte ich das aufgeschnappt? In einem Fantasyroman, einem Gespräch mit einem Freund oder doch einem wissenschaftlichen Paper? Abends wird dann oft allen Ernstes minutenlang dagesessen. Nachgedacht. Dann ist es anstregend herauszufinden, womit ich vor zehn Stunden noch meine Zeit verbracht habe und dabei ist noch gar nicht die Rede davon, was es war, das erarbeitet wurde.

*Anmerkung 10.08.2017: Mittlerweile wurde der Artikel fertiggestellt. Verlinke ihn am Ende des Artikels.

Viele Menschen haben jetzt vielleicht das Gefühl: “Ja, genau: Ein Tag geht vorbei und ich habe irgendwie nichts gemacht… genau so geht es mir auch.” Aber: Nein. Das ist ganz und gar nicht das, was ich meine!

Ich mache den ganzen Tag etwas. Sogar etwas, an dessen Sinn ich glaube, aber abends sitze ich trotzdem da und frage mich: “Ähm… Was? Wo? Mit wem? Heute, gestern oder doch vor einer Woche? Eh?” Das Gefühl, dass nichts hängen bleibt. Ein Sieb, durch den beständig mit Hochdruck Wasser gepumpt wird und abends tropft das Wasser traurig am Geflecht herab. …

Danke: Holger Slaghuis

Einen ganzen Ozean hindurchgepumpt, wagt man abends in Erwartung einer Meerjungfrau, dreier Wale und mindestens der Hälfte des verschollen geglaubten Atlantis ein Resumé. … Und: Eine leere Thunfischdose blickt dich vorwurfsvoll an: “Was soll ich denn jetzt hier?!? Lass mich sofort gehen!”, verlangt sie… und ich gebe nach, werfe sie — getrennt von Papier, Weiß-, Braun- und Grünglas — in den Müll.

Wohl keinen berauschenden Fang gemacht. … Man hält sich an morgendlichen Growth-Mindset-Gym-Mantras fest:

Focus on the effort, not the results.
Focus on the effort, not the results.
Focus on the effort, not the results.*

*Ich glaube, ich lass mir das auf ein T-Shirt drucken.

Die Idee ist, sich darauf zu konzentrieren, seine Arbeit zu machen, nicht im Kopf schon beim Ergebnis zu sein, sondern erstmal alles zu geben. Aber lohnt sich die Arbeit anderer nicht irgendwie viel mehr? Behalten alle anderen nicht irgendwie viel mehr, bei viel weniger Aufwand? … Focus on the effort, not the results. Falscher Fokus.

Fazit

Viele von uns haben oft das Gefühl, viel zu arbeiten und dann nichts gelernt zu haben. Informationen kommen rein, verweilen kurz, wieder raus. Ein Vorwurf, den man der Schule und Uni macht: Bulimielernen und das gleiche Gefühl kann einen bei jeder Form des Lernens einholen. Wie du merkst, habe ich das Gefühl auch… häufig auch und auch wenn weder für Schule noch Uni gelernt wird.

Was hilft?

Selbstwirksamkeitserfahrungen machen.

Wie kannst du dir bewusst werden, dass du doch etwas gelernt hast?
Erinnere dich an Situationen, als sich dein Lernen gelohnt hat. Für mich war das beispielsweise auf einer Seminarfahrt, bei der ich dann zu gefühlt jedem Thema Ideen aus den in den letzten Monaten gelesenen Büchern wiedergeben und auf den personalwirtschaftlichen Kontext beziehen konnte. Dann merkt man auf einmal, dass doch mehr hängen geblieben war, als in den abendlichen Erinnerungsversuchen wiedergefunden wurde.

Eine andere Möglichkeit wäre, jemanden zu erklären, was das grobe Konzept des Buches ist, das du gerade liest, des Software-Programms, das du gerade zu verstehen versuchst oder der Idee deiner Selbst, die du heute verfeinert hast — und dann merkst du, dass nach und nach die Informationen wieder zurückkehren, dass du heute ein paar Fortschritte gemacht hast.

Mit Dingen beschäftigen, über die du danach auch reden willst

Über Dinge zu sprechen hilft beim Lernen. Einerseits werden die Sachen interessanter, wenn du mit Experten, deinen Freunden oder Bekannten darüber sprichst. Andererseits lernst du besser, schneller und vor allem nachhaltiger, wenn dich die Materie, mit der du dich auseinandersetzt, auch interessiert. Das unterscheidet das Bulimielernen vom nachhaltigen Lernen: Man muss die Dinge auch verdauen, sich mit Ihnen auseinandersetzen. Wie der Magen auch das Essen zersetzt, um es als Energiequelle verfügbar zu machen, knüpft das Gehirn Verbindungen, die mit jeder Ver- und Anwendung stärker werden.

Trust the process

Vertrau darauf, dass es dir etwas bringt, auch wenn du nicht sofort Ergebnisse siehst — gerade wenn du nicht sofort Ergebnisse siehst.

 

(Der versprochene Artikel zum Rauschzustand: Hier)