Gib auf, Dämon, der Kampf gegen mich ist nicht zu gewinnen.

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Die letzten Monate habe ich es mit dem Hinterfragen ein wenig übertrieben. Immer weiter, bis nichts mehr feststand. Gefühlt alles dem Chaos überlassen, stand ich mit Vollgas im Leerlauf und wunderte mich, dass nichts vorangeht. Gegenmaßnahme: Gaspedal fester durchtreten.

Immerzu waren da ähnliche Fragen: “Was wenn, es doch nicht so erstrebenswert ist, wie ich das heute empfinde? Was wenn die Kraft irgendwann nicht mehr reicht, um gegen den Strom zu schwimmen?” So entstehen weiter destruktive Gedankengänge und in diesen verpufft viel Lebensfreude. Immer wieder wurden bisher feststehenden Gründen — ohne besonderen Anlass — falsche Annahmen unterstellt, bis sie mir belanglos erschienen. Es half mir wenig, zu wissen, dass das beständige “Was wenn es doch sinnlos ist?”-Fragen destruktiv ist. Mehr half es mir dieses Gefühl als einen Dämon zu beschreiben, der auf der Suche nach Sinnlosigkeit alles ins Wanken bringt und ein ums andere Mal wieder auf Jagd auszieht. Ein Dämon, der nicht leuchtend, grell und laut, eher fahrig, schraffiert und dumpf seine Fäden zieht; so können sich Fragen viel heimlicher einschleichen, weil die Bedrohung nicht physisch, sondern auf charakterlicher Ebene weniger deutlich sichtbar ist. Der Dämon will sich nicht manifestieren. Er bleibt im Schatten; hat keinen Heimatort, keine festgelegte Angriffsrichtung und doch treffen seine Angriffe zielsicher immer wieder an der selben, wunden, vernarbten Stelle: Hieb, Stich, Schock und wieder aufkratzen. Man rappelt sich ein ums andere Mal auf und versucht zu alter Stärke zurückzufinden.

Deswegen versucht man ihn in seiner Vorstellung zu manifestieren; gibt ihm eine körperliche Gestalt, bekämpft ihn und macht sich seine eigene Stärke bewusst. Vermenschlicht wird der Dämon zu jenem Typ, den man nie kennengelernt hat, der dennoch immer wieder als Projektionsfläche dient. Der Typ, der in Gedanken beinahe täglich aufpoppt; der Typ, der sagt, dass die Straße ihn erzogen hat, dass die Straße zu ihm spricht und so tut als hätte sie ihn hart gemacht; der sagt, er sei jetzt wie die Straße asphaltiert, gefühlslos und kalt. Der immer nur am Boden entlang schrammt, dabei aber meint, er habe es erlebt, auf den Boden geschmettert zu werden. … Nur weil er nie aufgestanden ist. Der Typ, der glaubt, dass ihn das Nichts-zu-verlieren-haben stark macht. Der sagt, er wird einen aus einer Laune heraus zermalmen, zum Aufgeben bewegen und den lächerlich niedlich flammenden Lebensfunken entreißen. Dann — gerade als er das Schafott bereitet, die Klingen schärft, nochmal den Angriff auf dich ins letzte teuflische Detail plant — sagst du ihm den Kampf an.

In böser Vorahnung läuft ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. … Denn er vernimmt eine Stimme hinter sich. Nicht hinter ihm wie ein Ort, der mal vor, mal hinter einem ist. Nicht hinter ihm, wie der Standpunkt des unbelebte Betonklotz, der Straße, die er verherrlicht, sondern eine Stimme, die das Hinter-ihm selbst ist. Was auch immer er gegen dich ins Feld führen will, er wird dich nicht überwinden. Diese Stimme wird immer in seinem Nacken kleben und ihm eine Botschaft verkünden, in dem ihm ein Abglanz der Macht des Wesens gewahr wird, das er in seinem Leichtsinn glaubte, besiegen zu können.

Die Botschaft deiner Stimme hinter ihm lautet:
Ich bin die Wurzel, die dich und deine Straßen langsam aber unvermeidbar bricht. Ich bin der Baum, der sich sein Erdreich wieder zurückerobert und weiter in die Höhe wächst. Ich bin der Adler, der auf seiner Krone thront, auf dich hinab sieht, losfliegt und dem Kriegsgott Ares gleich in schmucker Rüstung über die Länder zieht.

Beim Versuch, meinen Flug aufzuhalten, mit dem Speere nach mir zuckend, mit gespaltener Zunge giftige Worte sprechend und mir in zwielichtigen Gassen auflauernd, wirst du erkennen, dass — verflucht! — meine Rüstung nur Zierrat ist. Dass, selbst wenn ich sie ablege, mich entblöße wie Heinrich der IV. im Bußgewand und mein Innerstes offenbare; selbst dann musst du versuchen, den grünen Neid zu unterdrücken, der in dir brodelt, weil du nichts gegen die Ehrfurcht tun kannst, die dich übermannt. Denn deine Speere schrammen noch immer über meine jetzt nackte Haut, ohne eine Spur zu hinterlassen; deine Giftzähne brechen und das Gift der Schlange wendet sich gegen sie selbst. Ich entschwebe weiterhin mit geflügeltem Schuh und Wort deinem Hinterhalt, fege dabei wie der Nordwind mit einer Leichtigkeit über alles hinweg; über jedes Hindernis, das du glaubst, mir in den Weg werfen zu können.

Stichst du eines Tages in deiner Raserei mit dem Messer nach mir, meinst mich verwundet zu haben, weil du Blut an meiner Schulter siehst, so spürst du eine schwarze Hand nach deinem Herzen greifen, als du erschrocken siehst, wie es abperlt und darunter die unversehrte Haut zum Vorschein kommt. Die Hand drückt erbarmungslos zu als eine Erkenntnis in dein Bewusstsein sickert: Es ist das Blut eines deiner verabscheuungswürdigen Kumpanen, den du in deiner blinden Wut selbst verletzt hast.

Verkaufst du in einem letzten verzweifelten Schritt deine schwarze Seele an den Teufel, erhältst so eine Waffe, die selbst mich verletzen kann. Triffst mich in einem unachtsamen Augenblick und bist dir nun endlich deines Sieges gewiss, so ziehe ich mir den Bolzen mit eigener Hand aus dem Bauch. Verziehe kurz verächtlich vor deiner verabscheuungswürdigen, hinterhältigen Art die Mundwinkel. Aber wagst du einen Blick aus deinem Versteck heraus, so siehst du, wie sich ein goldenes Schimmern über die Wunde legt und sich das Fleisch wieder zusammenfügt. Und selbst wenn ich wie Achill als Weibe aufgezogen worden wäre, bin ich dir wie eben jener Held, im Kampfe um Längen überlegen. Versuchst du mich zu treffen, so trifft dich meine mitnichten verwundbare Ferse mitten ins Gesicht und zerschmettert dir die Nase. Kommst du alsbald blutüberströmt zu deinen Freunden in die Unterwelt, so werden sie dir schaudernd berichten, wie ich dem Hades den Zerberus entrang und ihn seitdem als meinen Schoßhund halte.

Auf Ewigkeit in deinem Gefängnis modernd, wirst du sehen wie ich wie Paian nach zehnjähriger Schlacht sogar der Aphrodite ihr Handgelenk heile, um so den Schatten von ihr zu nehmen, den du über sie legtest. Wie ich ihr dazu verhelfe vor all euch Zweiflern in unermesslicher Schönheit zu strahlen, sodass endlich Herzen die Welt regieren.

Wisse all das, wenn ich zu dir sage: Gib auf, Dämon, der Kampf gegen mich ist nicht zu gewinnen.


Wir stehen immer wieder aufs neue vor einer Willenswahl: Lassen wir uns von schlechten Gefühlen unterkriegen oder besinnen wir uns wieder auf unsere eigene Stärke. Von Zeit zu Zeit wird der Kampf mit dem scheinbaren Chaos zu kämpfen sein — alle paar Monde kehrt er zurück — , dann sollten wir versuchen, einen Weg raus zu finden. Beizeiten kann das eine Reise sein, einmal das Gespräch mit einem Freund und dann wiederum das Ausreißen aus bekannten Mustern. (Ein erster und sofort durchführbarer Schritt, kann sein so etwas zu planen.) Manchmal kann es auch helfen, den Dämon zu verdrängen oder ihn schlicht zu ignorieren. Meist gilt es, auf irgendeine Weise ins Handeln zu kommen, sodass man wieder geerdet wird.