Geschrieben für und zuerst erschienen in einer Altschülerzeitung.

Foto von Marc Zimmer auf Unsplash

Ich war immer ein braver, (fast) langweiliger Schüler: ruhig im Unterricht, laut beim Sport; erhobener Arm in der Mathestunde, konzentrierter Kopf im morgendlichen Silentium.

Als einzigen wirklichen — und trotz allem reichlich unspektakulären — Regelverstoß: das vorzeitige Verlassen des Mittagessens, um die Körperlichkeit der wohltuenden Sonne auf der Südterrasse zu genießen: mit geschlossenen Augen und Zeit für mich, lag ich da und hatte Zeit für mich. Das wurde toleriert.
Mit dem Sandsteingemäuer des Turms zur Rechten, der Schlosskapelle zur Linken, dem Holz der Tischplatte an meinem Rücken und dem Inntal-Panorama vor mir, konnte ich eigenen Gedanken nachhängen.
Mit der Aussicht, die bereits mindestens ein König Maximilian zu schätzen gewusst hatte, dem Wind, der wie die Blicke eben jenes Königs über die beruhigend standhafte Buche säuselte, dem Umfeld, das man mit geschlossenen Augen besser kennenlernt, war ich mir nicht bewusst, welch Privileg es war, sich Zeit für sich nehmen zu können; war mir nicht bewusst, wie leicht mir das gemacht worden war.

Doch wenn ich heute ehrlich zu mir bin, dann muss ich feststellen — ich habe es leicht gehabt.

Ein paar Jahre ziehen ins Land und dann kommt Karin auf mich zu: Fragt, wie ich zum Schreiben kam. Könnte jene Schulzeit mich derart geprägt haben, mir in meiner freien Zeit zur Aufgabe zu machen, mir eigenständig Gedanken zu machen und sie aufzuschreiben? Vielleicht war es, weil mir dieses ‘Leicht haben’, Zeit verschaffte. So wurde ich darin bestärkt, Zeit auch während des Studiums zu verwenden, ein Buch erneut zu lesen, das bereits mit Frau Vollrath im Deutschunterricht interpretiert worden war. So, mit Goethe im Kopf, musste wohl ein Gedicht entstehen über dieses Zurückziehen. Wie damals auf der Südterrasse:

Bestie II

Mit schwarz-schimmernd’ Schuppen
liegt sie in ihrer Höhle.
Überheblich, eitel, selbstkritisch.
Der Blick streift über diese Narben,
verletzlich, fragend, nachdenklich.
Gedankenverloren kratzt sie sie auf,
die kahlen weißen Stellen,
muss hinter Fragen, Fragen stellen.

Wieso nicht mal genug?
Wieso denn immer mehr?
Was willst du noch?
Wo kommt es her?
Und bleibts dabei?
Wenn ja, was dann?
Wenn nein… Oh nein.

Doch eines bleibt: die Andersheit.
Und selbstverschuldet Einsamkeit.
Denn das verstehen sie alle nicht,
wieso sie mit deren Themen bricht:
den Kampf, der in ihr tobt,
den Kampf des eitlen Ichs.
Im tiefsten Innern will sie’s.
… Will sie´s nicht?
Sich der Gemeinschaft zu verweigern?

Denn schaffend wird sie untergehen,
muss sie doch noch vor sich bestehen.
Und ist es nicht Beweis genug,
das Beste stets zu geben?
Doch was ist das?
Wie viel davon?

Anyway,

so frönt sie denn
des Geniestreichs Freud,
der lärm’nden Stille Leid,
der — Zurückgezogenheit.

Noch einmal: Weil ich es leicht hatte, hatte ich Zeit, Erfahrungen, die jeder Mensch bei diesem ‘Erwachsen werden’ macht, in Kurzgeschichten und Artikel zu verwandeln, hatte Zeit, Bücher zu lesen und mich sogar mit ihnen zu beschäftigen.

Weil ich es leicht gehabt habe, eine schöne Kindheit hatte, auf diese Mittage in der Sonne zurückblicken kann, keine elterliche Trennung oder existenzielle Nöte erleben musste, habe ich jetzt die Aufgabe, etwas zu Papier zu bringen. Nicht, weil Schreiben und kreative Arbeit therapeutische Wirkung entfalten kann, sondern weil es unsere Aufgabe ist, Leidenschaften, Talente und Neigungen, in ethisch vertretbarer Weise, in die Welt zu tragen; Für mich heißt das auch zu sehen, wie man aus Körperlichkeit und Struktur, Geistiges und Freiheit schaffen kann; aus Sport und Natur, Inspiration für dieses Schaffen ziehen kann.

Reduziert man komplexe Lebensumstände auf drei Möglichkeiten, unsere Ausgangssituation zu beurteilen, so ist es:

  • Sehr leicht und womöglich völlig legitim, zu sagen: “Ich hatte doch nie eine wirkliche Chance.” So schon von vornherein aufzugeben.
  • Auch angenehm zu sagen: “Ich hatte es — ach!— so schwer und jetzt seht mich an: Ich habe es trotzdem geschafft.

Schwerer wiegt hingegen das Eingeständnis auf einem, dass man es leicht gehabt hat und einem damit eine Aufgabe und Verantwortung gegenüber all denjenigen, die es nicht so leicht haben, zuteilwurde. Ihnen Kraft zu geben, Mut zu machen und sie zu unterstützen. Jeder auf seine Art.

Zusammengefasst: Wer es leicht hat, sollte sich zunächst dessen und dann der Aufgabe bewusst werden, die damit einhergeht, sich selbst wählen zu können.


Ich habe Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert. Mache dort nun auch meinen Master. Nebenher arbeite und schreibe ich ein wenig. Unter dem Namen Marco Zander — passend, da das mein Name ist — auf www.Medium.com. Bald womöglich auf einem eigenen Blog. Über was? Über Geschichten, Träume, dieses ‘Erwachsen werden’, ein wenig Philosophie, Gedanken und das Leben. Teils Konkretes, mal Abstraktes, teils Theoretisches, meist Alltägliches.
Dann kam Katrin auf mich zu, dass ich doch mal in Altschülerzeitungen darüber schreiben sollte, dass ich schreibe. Wenn das passiert, dann schreibe ich in Altschülerzeitungen darüber, dass ich schreibe und es leicht hatte. Schreibe darüber, dass dieses ‘Leicht haben’ Aufgaben bereit hält.