In den Beiträgen, die Didi Burnault mit “Leistungsgedanken” betitelt hat, gehen Didi und ich abwechselnd auf das Leistungsdenken in der Gesellschaft ein. Didi schreibt auf seinem Blog viel zum Thema Burnout und ich hatte da mal ein paar Fragen an ihn. So ist der Dialog entstanden. Den ersten Teil findet ihr hier; alle Artikel hier.
Hallo Didi,
erstmal finde ich deinen Ansatz super, dass du die Expertenmeinungen und deine eigene Erfahrung so gegenüberstellst. Das ermöglicht mir dann aus den unterschiedlichen Perspektiven meine eigene zusammenzuschustern.
Aber direkt zur Sache. Du fragst mich, wo ich mich in den einzelnen Verhaltensmustern wiederfinde.
Deswegen versuche ich mal offen auf jeden einzelnen Punkt zu antworten.
Dein 1. Problem: Es gab keine Pausen. Ich sehe nicht, dass ich keine Pausen mache. Gleichzeitig weiß ich, dass es auf außen oft so wirkt: Sieben-Tage-Woche, seit etwa drei Jahren auch jeden Tag um 5 Uhr aufstehen. Aber: An jedem Tag mache ich echt viele Pausen und auch jeden Tag 15 Minuten Meditation, meist ein Spaziergang und theoretisch versuche ich auch, einen Tag pro Woche einzubauen, an dem ich nichts mache (und ausschlafe), aber das bleibt meist Theorie. Trotzdem: Ich arbeite sicher keine 16 Stunden Tage.
Aktuell schreibe ich halt morgens zwei Stunden oder so. Dann eine kurze Pause, dann lerne ich vormittags, oft auch nur zwei mal 45 Minuten mit einer kurzen Pause, mache mein Workout, um am Nachmittag nochmal dreimal 45 Minuten zu lernen. Ein langer Spaziergang dazwischen und abends noch ein wenig lesen. Das sind aktuell wohl so gut 50% meiner Tage. Ergo: Wenn ich nicht in die Uni oder Arbeit muss. Da sitze ich oft länger rum und lasse mich berieseln oder arbeite vor mich hin, aber die universitären Präsenzzeiten sind aktuell eben wenig geworden.
Ich beschreibe dir so einen normalen Tag, weil das für mich aktuell effektiv jetzt eher sieben Stunden Tage sind (und da rechne ich die 45 Minuten schon als volle Stunde) und ich mir daher eher vorwerfe, zu viele Pausen zu machen. Inbesondere weil ich bei anderen Menschen mehr die Bereitschaft sehe, ihre eigenen Interessen und Verschrobenheiten der (beruflichen) Notwendigkeit unterzuordnen. Insofern sehe ich Schreiben einerseits ganz klar als kognitive Arbeit, andererseits ist das eben grade nicht, was ich wohl aus einer gesellschaftlichen Perspektive tun sollte. Daher auch: Pause.
Inbesondere mal für ein paar Wochen oder Monate könnte ich das Schreiben und die Vielzahl an Pausen schon einmal sein lassen oder sogar den Sport ein wenig zurückschrauben. Dann sage ich zu mir, dass ich zumindest mal statt die zwei Stunden morgens zu schreiben, lernen sollte und zusätzlich abends noch eine Stunde ranhängen könnte. Gleichzeitig sehe ich, dass mir das Schreiben oft auch den Kopf frei macht, obwohl ich mir da sicherlich zu einem großen Teil mal wieder eine Theorie zusammenbastle, die mir einfach gut in den Kram passt.
Also: Statt mal ein paar Wochen wirklich durchzupowern, spule ich halt mein immer gleiches, persönliches Pensum ab, das zwar nicht schlecht ist, gehe aber nur sehr selten darüber hinaus. Es gibt auch Tage, da bin ich von 8 – 20 Uhr in der Uni oder ähnliches, aber das ist eher selten, gerade jetzt, wo es Richtung Prüfungen geht, weil ich mir die Tage da meist frei einteilen kann. Daher würde ich niemals sagen “Es gibt keine Pausen.“.
In all das spielt wohl dein 8. Problem: Multipassion mit rein. Multipassion hört sich schön an, sicherlich schöner als es ist und ich kann mich auch teils darin wiederfinden, teils nicht. Sport, Schreiben und eine recht stark ausgeprägte grundlegende Neugier wären da wohl die drei Passionen, die mir auf Anhieb einfallen. Gleichzeitig lege ich mir manchmal auch wieder nicht genug Herzblut in manches: Formatierungsarbeiten am Blog, Gründlichkeit bei manchen Arbeiten, Uni-Themen wirklich auswendig können und verstanden haben und nicht nur glauben, verstanden zu haben, auch mal an der Reichweite des Blogs zu arbeiten, … . Wenn ich jetzt wirklich so leidenschaftlich für viele Dinge wäre, wie es auf viele Menschen den Anschein hat, würde ich wohl auch das besser und gründlicher machen. Trotzdem klappt ja alles. Aber es könnte wohl besser sein und dabei ist es recht neu für mich, dass ich das Gefühl habe, dass die Einzelergebnisse besser sein könnten, wenn ich mich fokussieren würde, statt immer auf die Synergieeffekte aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Aktivitäten zu setzen.
3. Problem: Ich hatte familiären Stress zu Hause um die Ohren und fühlte mich mit meiner Wohnsituation nicht wohl. Das ist bei mir wohl kein Problem. Ich wohne in einem Zimmer für mich. Das finde ich super… zahle für meinen Geschmack zu viel, aber: wer nicht?
4. Problem: Ich ernährte mich einfach scheiße! Ich ernähre mich eher zu zwanghaft gesund, aber genieße mein Essen sehr und dann lacht mich wieder mein Backkakao an, der zwar an sich nicht ungesund ist, den ich aber in viel zu hohen Maßen zu mir nehme und sagt mir, dass es so zwanghaft gesund auch nicht ist. Und auch am hin und wieder mal Essen gehen arbeite ich… zwar halbherzig, aber ich arbeite daran.
7. Problem: Ich hatte psychische Probleme. Ok… Ich versuche mich an einem differenzierten Blick auf das Geschehen. Ich habe hier eine – wenn ich das richtig im Kopf habe – existenzialistische Einstellung: Dass das Leben genug zu herausfordernde Situationen für uns alle bereithält, sodass es eher unglaublich ist, wie viele Menschen da so lange psychisch stabil durchkommen; dass es einen wundern kann, dass nicht alle permanent völlig am Rad drehen. Meine Aufgabe sehe ich dann mehr darin, zu versuchen mit diesem Leben klarzukommen und das irgendwie alles zu meistern, am besten noch so, dass es besser wird.
Gleichzeitig gibt es natürlich auch schlimme Ereignisse oder Konstellationen in der Vergangenheit, genetische Dispositionen (z.B.: eine stark neurotische Persönlichkeit) und schlicht Zufälle, die dann zu psychischen Problemen in einem Maß führen, sodass man selbst nicht mehr mit ihnen umgehen können kann. Dafür gibt es Psychologen und Psychotherapeuten.
Nun zu mir: Du sagst, dass du schon immer eine zugrundeliegende Angststörung und Selbstzweifel hattest, die unter der Oberfläche Treiber deines Verhaltens waren. Ich bin überzeugt, dass ich zumindest keine Angststörung habe. Und Selbstzweifel habe ich schon, aber auch da: Wer nicht? Und ich glaube, in einem halbwegs gesunden Rahmen. Aber ich nehme deinen Punkt wirklich nicht auf die leichte Schulter. Meine flapsige Art ist manchmal einfach, wie ich mit sowas umgehe.
Habe ich meine Knackse? Ja. Habe ich manchmal das Gefühl, dass mehr als andere? Auch: Ja. In meinem Fall liegen die aber weniger bei Angststörungen und Selbstzweifeln, eher bei anderem Stuff, glaube ich. Aber irgendwie hat ja jeder so sein Päckchen zu tragen und zum Teil ist das normal. Ich weiß deswegen aber trotzdem, dass auch du am Anfang geglaubt hast, dich selbst therapieren zu können und, dass es nicht funktioniert hat; glaube aber, dass sich der Teil eines unter der Oberfläche liegenden psychischen Problems bei mir in einem normalen Rahmen hält. Ich versuche einfach, jeden Tag ein bisschen besser mit diesem Life klarzukommen und manchmal klappt das.
Jetzt wird der Post langsam zu lang und mir fehlen noch:
5. Problem: Ich musste immer mehr tun, damit ich mich am Ende des Tages glücklich fühlte.
6. Problem: Ehrgeiz und Planung verdrängen den Spaß-Faktor.
Und vor allem:
2. Problem: Die Kraftquellen fehlten.
Zu allen gibt es etwas zu sagen. Besonders aber zu Problem Zwei. Da hätte ich noch ein paar Fragen. Ich würde gerne verstehen, was für dich eine Kraftquelle ausmacht. Nach meinem bisherigen Verständnis hätte ich gesagt, die Musik und das Schreiben sind auch tendenziell Kraftquellen. Aber wie lange ist etwas eine Kraftquelle und wann nicht mehr? Wenn es zwanghaft wird? Oder wie ist das bei dir (gewesen)? In dem kurzen Abschnitt nennst du andere Menschen und nichts anderes als Kraftquelle. Ich vermute, das liegt daran, dass der Abschnitt eben kurz ist, daher: dass sie das auch sind, verstehe ich und sehe ich auch so, aber die einzige sind sie nicht, oder? Außerdem: Sind deiner Ansicht nach familiäre und freundschaftliche Beziehungen eine ähnliche Kraftquelle wie eine Partnerin? Können sie das zu einem Grad ersetzen?
Marco
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