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Ich dreh’ den Schlüssel im Schlüsselloch. Es ist das kleine bisschen Gewalt, das notwendig ist, damit sich der Schlüssel im Schloss bewegt; es ist das Gefühl an den Fingern zu spüren, wie der Schlüssel einen Widerstand im Türrahmen zu überwinden hat, wie sich der Riegel in den Türrahmen schiebt, wie der Schlüssel – als der Widerstand dann überwunden ist – dem Riegel fast hinterher fällt. Das ist es, was ich will.
Ein Moment Ungewissheit, ob sie nicht vielleicht doch klemmt; eine bewusste Anstrengung, damit sich etwas bewegt.

Und dann ist er abgeschlossen.

Ein Raum ohne Öffnung; meiner, für mich. Nichts kommt mehr heraus oder hinein; jetzt mache ich mir vor, dass die Stimmung und alles, was hier gerade ist, hier, bei mir, bleibt; das Handy außer Reichweite, auf lautlos, den Bildschirm nach unten – jetzt bin ich allein, nichts kommt mehr heraus oder hinein. Jetzt ist er ganz meins: Mein Raum.

Vielleicht kann ich es so jetzt einfangen. Und das will ich gerade, weil ich spüre, dass es da in mir drückt. Ich sehe es noch nicht, aber es ist in mir und will raus.

Ich weiß, welche Musik ich hören will, es ist traurige Musik, eine japanische Band, und… ein schönes Bild, das da drückt.

Ein erstes Aufflackern… es kommt, weil ich weiß, dass es schön ist; erstmal weiß ich also, dass es schön ist; damit weiß ich dann auch, dass es ist und so ist es dann auch da – ein kurzes Aufflackern.

Ich erkenne… nichts…

…irgendetwas war gelb und darin waren Balken in einem dunkleren Gelb.

Wahrscheinlich ist es nur Einbildung.

Aber erstmal ist da nichts.

Und so beschreibe ich etwas anderes: eine riesige, weite Landschaft mit vielen, sich windenden Flüssen. Sie sollte verschneit sein, ist es aber nicht. Sie ist nur weit und leer. Und sie ist… da in mir. Vielleicht führt durch sie ja der Weg, hin zu dem Bild. …
Ich liebe diese Landschaft, ein Teil von mir fühlt sich ihr verbunden, dieser weiten, leeren Landschaft und außerdem… ich glaube nicht, dass sich das Bild ganz zurückgezogen hat.  Es ist doch da irgendwo.

Das Bild war oder ist… ein eher helles. So gar nicht wie die Landschaft, die ich gerade kurz andeutete, die ich nur einmal kurz im Über-sie-Hinwegfliegen gesehen hatte, die mich damals aber sofort in ihren Bann zog und sich, wo sie zuvor schon darunter gesessen hatte, jetzt eine Ebene höher im Kopf (als (endlich) sichtbares Bild) niederließ. Jetzt bin ich froh, sie da als solches sitzen zu haben. – Ich sitze wieder vor dem Fenster und wir tauschen Blicke. – Und immer wenn die Leute uns dann da so sitzen sehen, verstehen sie etwas.
Ich habe sie jetzt also (auch) als Bild, das es mir erleichtert, mich verständlich zu machen; das mir manchmal einiges einfach generell erleichtert und mir manchmal vielleicht sogar erleichtert, mich auszudrücken.


Sie, die Landschaft, ist eher dunkel, melancholisch, ruhig. Es riecht nach feuchten Nadelbäumen, die schon hunderte Male in der Sonne getrocknet waren. Sie ist trotzdem nur für wenige schön, für mich ist sie wunderschön.

[Als Mädchen
Als Mädchen hätte sie einst vielleicht nicht die schönsten Zähne gehabt – ein, zwei wären dann ein wenig schief gewesen. Als Mädchen hätte sie sich dafür in jungen Jahren vielleicht ein wenig geschämt. Als Mädchen wüsste sie es heute vermutlich schon besser, verhüllte die Zähne aber noch immer – aus der damals geformten Gewohnheit heraus – mit den Lippen. Als Mädchen lachte sie (wenn überhaupt) meist nur schüchtern und ihr Kopf würde auch heute oft noch Tage nach einer Unterhaltung Ungesagtes einwerfen. …
Als Mädchen säße sie, obwohl so neugierig… vielleicht: weil so neugierig, oft allein. …]

Die Landschaft ist… düster, schmerzt auch ein wenig, aber dafür ist sie echt und lebt. Für mich ist sie zum Weinen schön. Und manchmal tagsüber, wenn ich es nicht mitbekomme, spaziere ich in ihr und die alten Nadelbäume in ihr erzählen Geschichten, denen ich interessiert lauschen würde, wenn ich nicht zu abgelenkt von allem um mich herum und meinen Gedanken wäre.
Aber ein Teil von mir lauscht; der Teil von mir, der immer irgendwie abwesend ist, der sich nicht konzentrieren kann und der im Hinterkopf leise, aber unsystematisch, Nicht-Gedanken umherschiebt… der lauscht… und schiebt – und lauscht und schiebt.
Er lauscht fasziniert Geschichten von alten Nadelbäumen, saugt sie in sich auf und schiebt im Hinterkopf leise Nicht-Gedanken umher… bis mir dann wieder so ein Nicht-Gedanke in den Vorderkopf kommt und ich – um mich herum geschieht irgendwas – dann wieder dasitze und auch nicht weiß, was ich damit jetzt machen soll.

Und… manchmal freue ich mich für ihn, oft bin ich auch neidisch, meistens vergesse ich, dass er ja gerade lauscht und hin und wieder sage ich ihm auch freundlich (… ja ok, manchmal auch unfreundlich… ein wenig grob… und zu laut… ok… meistens unfreundlich, grob und zu laut), dass er das doch nun bitte einmal lassen sollte, dass er doch endlich mal die Klappe halten soll, mich doch einfach mal in Ruhe lassen soll, mich doch einfach mal machen lassen soll. (Ich mein… was soll das denn? Wenn er einfach so Nicht-Gedanken oder frustrierende, absurde oder auch alberne, viel zu kurze Geschichtsfetzen in meinen Tag wirft… Was soll das denn? Mit denen kann ich dann hier und jetzt wirklich so gar nichts anfangen… oft noch nicht mal drüber lachen… dann sind sie meist auch noch unverständlich…, unspektakulär und ungemein irrelevant und … ich mein’… hmm? … Wer würde da nicht hin und wieder die Geduld verlieren? … Ja… nein, es tut mir ja leid. Ist schon gut, dass er lauscht und hin und wieder Fetzen wirft. … und… ja, ich freu mich ja, dass er lauscht. Wirklich. Nur manchmal … naja… zurück zur Landschaft.)


Die Landschaft ist schattig, das Bild hingegen war, wie gesagt, hell: ein Schutzschild. In ihm ein großes, gelbes Dreieck mit den dunkleren (aber noch immer gelblichen) Balken darin.


Und doch behalte ich Recht, wenn ich sage: es ist die Stimmung, die in ihr, der Landschaft, herrscht, die mich dorthin, zu dem Bild, führt.  Wie sie das tut? Weiß ich nicht… aber die Landschaft ist in mir. Einmal betrachtete ich sie von oben. Seitdem fliege ich immer wieder über sie hinweg und auch jetzt fliege ich über sie hinweg. Und durch sie gelange ich zu dem Bild. Ich sehe zu ihr nach unten, schaue wieder aus dem Fenster, stehe vor dem Fenster. Und einerseits sitze ich vor ihr und es zieht mich durch das kleine Guckloch, andererseits stehe ich vor einem Fenster, das immer weiter nach unten wandert und ich springe durch… das Fenster.


Ich springe.
Lebensmüde oder todesmutig… das sollte nicht so nahe beieinander liegen… springe ich hinab zur Landschaft. … Nein, das sollte nicht so nahe beieinander liegen. Es macht es aber einfacher… auch wenn man sich selbst dann (wenn einem das Zuverlierende nichts (oder zu wenig) bedeutet), sicher nicht echt ‘mutig’ nennen da- – “Nein! Nenn’ mich nicht mutig! … Gar nichts weißt du!… Ich bin doch nur…“, wirft eine nicht mehr ganz unbekannte, aber (noch) unreflektierte, rebellische Stimme ein. -… wahrscheinlich darf man es nicht echt ‘mutig’ nennen.
Auf andere mag es vielleicht todesmutig wirken, aber du weißt genau: nichts ist es. … Aber… das ist doch schon wieder falsch: Nichts ist es auch nicht. Wenn du zumindest gesprungen bist, dann… dann ist es schon einmal etwas. Es ist nur nicht so groß(artig), wie sie meinen mögen… nein… es ist wirklich nicht so großartig wie sie meinen mögen.

Ok… ja, ich verstehe, klar… es ist nicht mutig in seiner reinen Form, aber vielleicht ist es ja doch echt mutig… mutig in seiner befleckten, unreinen, aber echten Form – nicht als das Ideal, nach dem man, obwohl so grausam hoch, obwohl so nicht-zu-erreichen-groß, trotzdem streben sollte.

Todesmutig!

,

so steht es da; furchterregend groß steht es da… – todesmutig… das warst du nicht… nein… aber ein Anfang ist gemacht.

Du weißt, ich weiß’, wir wissen: der Anfang – befleckt aber echt – war (und ist immer) wichtig; wichtig, um nicht irgendwann den Brudermord zu begehen, um nicht an ihm, dem (neiderweckend) Großartigen zu verzweifeln, sondern weiter danach zu streben… weiter danach zu streben; wichtig, damit ihr großartiger und immer großartiger werden könnt. Der Anfang… ist gemacht. Du bist gesprungen… hinab zur Landschaft.


Und: Sofort ist es kalt. Die Luft ist kalt im Fallen und, auch wenn ich nicht aufprallen kann, entzieht sie mir doch alle Wärme.
Peu à peu: die schöne Luft mit ihren kalten Fingern. So wird es noch kälter, je stärker der Luftzug wird.
Ja, mach’ ruhig weiter, es ist schön. Ich habe doch so viel davon, von der Wärme, in mir und mir ist ohnehin zu warm. Zieh’ ruhig, auch wenn ich bereits ein Kratzen im Hals habe, entzieh’ mir ruhig noch ein wenig Wärme… zieh’ ruhig… – auf, dass ich wieder… Kratzer am Hals habe. … ? …


Und: Ich falle und falle – und durch sie hindurch. Und- Ein andermal werde ich in ihr spazieren. Heute falle und falle ich – und durch sie hindurch.

So bricht die Nacht, wie Licht durch ein Fenster, ein; zieht die Vorhänge hinter sich zu; kommt herein, stiehlt nur ein wenig Ramsch, von dem ich mich ohnehin schon lange hätte trennen sollen, aus dem Blickfeld und legt noch gutmütig lächelnd ein kühles, schwarzes, schimmerndes Geschenk aufs Nachtkästchen – etwas, das beruhigt, wenn man abends seine Hand darauf legt; etwas, das pulsiert, wenn man abends niedergeschlagen sein Ich dieses Tages und der vergangenen Monate (vielleicht auch eines vieler vergangener Jahre) darauf legt; etwas, das Bilder auftauchen lässt und leise teils bizarre Geschichten flüstert, wenn man es ansieht – sie sehen und hören will.
Dann zieht sie sich in eine Ecke des Zimmers zurück, steht dort und schaut mir über die Schultern. Es ist still.

Gut. Ich will allein sein mit ihr, der Nacht.


Freunde des Mondes
Ich weiß: das ist, wie sie sich fühlen, die Freunde des Mondes, wenn sie von ihren Stunden sprechen – von ihren Stunden, lange nach dem Sonnenuntergang, wenn es kühl und leise wird; wenn es endlich kühl und leise wird. … Meine schönen Freunde des Modes, meine raffgierigen Freunde des Mondes, meine in Schwarz gekleideten Freunde des Mondes, wenn sie allein sind… mit ihr: der Nacht. Und sie schimmert ihnen über die Schulter.

Und ich, Krieger unter dem Wappen der Sonne, das riesige Schutzschild mit dem gelben Dreieck darauf in den schwieligen Händen haltend, habe mich doch immer so verbunden zu ihnen gefühlt. Man mag sagen, das ist hochmütig und unangebracht, was weiß man schon von irgendwem und seinen Gefühlen… aber ich habe mich immer verbunden zu ihnen gefühlt, den zarten, aber auch den finsteren Geschöpfen der Nacht… meinen schönen Freunden des Mondes… meinen raffgierigen Freunden des Mondes, die die leisen Stunden so schätzen.

Dankbar war ich; dankbar, sie zu sehen; dankbar, für sie; dankbar, gerade für die wenigen unter ihnen, die mich nicht leichtfertig abtaten; dankbar, mit ihnen im ganz-normal-grausamen Pfeilregen zu stehen, mich dann wieder mit Schild und Körper schützend vor eines ihrer zarten Geschöpfe stellen zu dürfen; dankbar, für jedes Zunicken unter Kriegern; dankbar, um sie zu wissen; dankbar, für die leisen Stunden, für die wenigen, unvergesslichen Stunden, die ich mit ein, zweien ihrer Bezaubernden in Zweisamkeit verbringen durfte, die immer Hunger nach mehr weckten, die Lebenssinn schenkten, mich verzauberten und mit denen man gemeinsam Magie erlebte… erleben kann… erleben wird.

Aber auch zu ihnen, meinen Freunden des Mondes konnte ich nie wirklich dazugehören. Und so war ich auch unter ihnen einsam.

Irgendetwas war immer einsam und durfte nicht dazugehören – vielleicht ließ es sich selbst nicht dazugehören, zu den Durch-Nächte-Wandernden. Irgendetwas, das im Sonnenkrieger mit glänzender Rüstung, der immer zum Licht steht und stand, eben nicht aus seiner Haut konnte… wie der größenwahnsinnige Gedanke im niedlich anmutenden, asiatischen Mädchen; irgendwas war dann doch wieder – und dazu noch: unübersehbar – Sonnenkrieger.

Wie sollte es da anders sein als dass mich einige von ihnen verabscheuen? Was gibt es denn auch unsensibleres als jemand, der dich mitfühlend ansieht. Und so unübersehbar nicht in deiner Haut steckt.

Ja… was nicht aus seiner Haut kann… das verabscheut man. Denn gefährlich schwach ist es, ansteckend schwach ist es. Man hat ihm gegenüber mitleidslos und hart zu sein. Wir wissen: So darf man nicht sein.
Vielgespalten… Ja, das sei erlaubt. – Da ein Ich, hier ein Ich… dort ein Ich. … Und noch ein Ich! – Aber sich selbst nicht hilflos ausgeliefert… nein… das nicht. So öffnet man nur ganz anderen Schrecken Tür und Tor, die aus persönlicher Vergangenheit und Zukunft immer wieder in die Gegenwart grüßen, aber nicht nur das… viel weitgreifenderen, überpersönlichen Schrecken.
Nein! Nie vollkommen ausgeliefert… immer ein entscheidendes Stückchen Freiheit. Immer!… irgendwo und… wenn auch noch so klein.
Das Gefühl jedoch: die Verzweiflung, wenn man scheinbar aussichtslos versucht etwas zu verändern, die ist in Maßen vielleicht noch sympathisch – man kennt sie ja selbst. Diesen Schwachen, Sich-Selbst-Ausgelieferten kennen wir; der so kurz vor dem Aufgeben ist.
Zum Verzweifeln ist es ja manchmal schon, wenn man es sich wiedermal bewusst macht oder – schlimmer – es bewusst wird. Das bezweifelt ja niemand: Weichen zu stellen, Häute wegzuschaben und dann auch noch nicht vor allen ganz nackt dazustehen – das bezweifelt ja niemand, dass das schon zum Verzweifeln ist.

Aber jenen, der dich mitfühlend ansieht und so unübersehbar nicht in deiner Haut steckt und nicht aus seiner Haut kann, den verabscheuen wir, wenn er uns (am besten noch) von unserem Leid berichtet.

Und so hört sie der Sonnenkrieger – wohlgesinnt, doch ernst und hart – sagen:
“Zieh die Rüstung aus, lass das Schutzschild fallen und nimm’ erstmal dein Kreuz, bevor du dich mit meinem brüstest, Sonnenkrieger.”
Und der Sonnenkrieger versteht es zwar noch nicht, aber denkt bereits: “Menschen wollen Kreuze tragen. Nein… solche, diese,… meine? Menschen wollen ihre Kreuze tragen. Und es scheint: jeder will ein eigenes, ein persönliches: sein Kreuz. … Ich kann und soll es ihm nicht nehmen.”


Sein Kreuz
Und wenn man dann gerade wieder glaubt, etwas verstanden zu haben, bricht es nur kurz darauf wieder über einen herein und man erkennt, wie sehr man sich doch selbst ausgeliefert ist, wie schwer es ist Weichen zu stellen, Häute wegzuschaben und dabei noch man selbst zu bleiben; schippt sich noch eine Prise Verzweiflung auf… und noch eine Prise und – jemand steht durchnässt im Regen, schwere Tropfen fallen wie einzeln auf das zum Himmel gerichtete Gesicht – noch eine Prise und noch eine Prise und dann… – … {{geschieht etwas?}, {springt man?}, {geschieht doch wieder nichts?}, } mögliche Verzweiflungsereignisse einer Menge von Lebensergebnissen, die alle an irgendeinem Ort herumsausen. Für Verzweiflungsereignisse eigenartigerweise übrigens ziemlich munter und lebensfroh… vermutlich ist ihre bestimmende Eigenschaft mehr das Ereignis als die Verzweiflung… oder die Verzweiflung ist gar nicht das, wofür man sie hält… hält sich nicht an heutige Definitionen… oder irgendwie sowas. Naja, wie auch immer: Sie sausen auf jeden Fall… von links nach rechts, von rechts nach links, in metallischem Lila, innerhalb eines großen Kreises.

[Massive, metallisch lila schimmernde Tür(en)
Nein… ich hake nochmal nach… da gibt es mehr zu sagen:
Denn, um genauer zu sein, sausen sie, wie viele Repräsentationen massiver, in metallischem lila schimmernder, Türen zum nächsten Zugabteil ” F ” eines weltgroßen Zuges, in den man während der Schulzeit hineingetaumelt war… ja… so sausen die Verzweiflungsereignisse da – in einer anderen Dimension – herum.
Aber aufgepasst… – ein kleines, rotes Warndreieck in Begleitung seines noch kleineren Ausrufezeichens (mit auffallend, klischeehaft dickem Bauch ‘Bedeutung’) erscheint. Es steht in Regenmantel und mit Kapuze hilflos schon da, bevor der Unfall geschieht, will noch darauf hinweisen… muss zusehen… “aufgepasst…”, sagt es, während es den Freudig-Fahrenden zusieht – aufgepasst, eine kleine Vorwarnung…-ahnung:
In weltgroßen Zügen kann man ganz leicht Menschen, mit denen man eigentlich das Zugabteil ” F ” hatte betreten wollen (wunderschön war die Vorstellung gewesen – ein Leben in den Museen und Cafés der Stadt, ein langes, schönes, auf-dem-Weg-seiendes Dazwischen), aus den Augen verlieren, wenn man sich trennt um sein bungalowartiges Apartment Nr. 367 im Zug zu finden. Erstmal würde man natürlich meinen, es wäre nur ein Sitz, aber nein: ein Apartment. Und… ich mein… die Nummer war ja schon unmittelbar nach diesem ersten, für uns viel zu niedrigen Kinderabteil mit den jungen Müttern darin, die uns doch so stolz (aber auch voller Vorfreude) ansahen, als wir ihnen sagten, dass wir uns da einig seien, dass wir noch keine Kinder wollten, auf dem Ticket gestanden… damals, nachdem ich so glücklich gewesen war, dass wir über sowas offen und vollkommen ehrlich reden konnten; dass da aufgrund dieser (teils erbarmungslosen) Ehrlichkeit keine Hintergedanken zu befürchten wären.
(Und, obwohl die (erbarmungslose) Ehrlichkeit schon hilft, sehr wertvoll ist, ist man dann doch nicht vor ihnen gefeit… und seien es nur die eigenen, unbewussten, unergründeten vielleicht unergründlichen Hintergedanken)… Naja solche Menschen kann man in weltgroßen Zügen eben schnell aus den Augen verlieren… was natürlich schade ist… aber vielleicht hatte es ja nie sein sollen; vielleicht war es sogar wirklich so, wie die Vorahnung traurig ins Ohr flüsterte als man da vor der Tür stand: solche Menschen müssen selbst… vielleicht auf ihre Weise… ins Zugabteil ” F ” nachkommen.

Na und diese Gedanken gehen dir jetzt natürlich durch den Kopf, als du da im Zug vor der metallisch-lila schimmernden Tür stehst, doch einfach hindurchgehen könntest. Wissend, dass da hinten irgendwo Apartment Nr. 367 ist. “Oh Mann! Sei doch bitte einfach einmal leise… … Einmal weißt du!… lass mich doch einfach-

Du hast es doch schon vor dir gesehen: Den Palmengarten, die möglichen Abenteuer, die weite Landschaft. Und was nun? Durchgehen? Umdrehen und suchen? Was macht man aus der Vorahnung? …

Aber… na, wer hät’s gedacht… der gut-gemeinte Hinweis in hilfloser,-kleiner,-roter-Warndreiecks-Manier wird nichts helfen. Auch nicht in Begleitung von klischeehaft bedeutungsschwangeren Ausrufezeichen.
Du wirst alles versuchen, es wird nichts ändern… die Vorahnung wird recht behalten… aber!, dass du alles versucht hast, war das beste, was dir je hätte geschehen können.]

Nun… erstmal schwirren die Repräsentationen solcher Türen ja ohnehin nur in ihrem metallischem Lila herum – wie Ideen in einem Kopf… als Verzweiflungsereignisse einer Menge von Lebensergebnissen – irgendwo; nachdem man Prisen geschippt hatte, weil alles so hilflos sich-selbst-ausgeliefert schien.

Und dann kommen sie einfach so zum Vorschein… Ereignisse lebensgroß und in Farbe… warum sich jetzt diesmal gerade dieses Ereignis zeigte, kann man dann nur schwer sagen. Man kann natürlich viele Erklärungen dafür finden… aber dem Erlebendem werden diese Erklärung alle immer ein wenig suspekt bleiben. Er weiß nur, wie es dann kam. Weiß aber eben auch: Gründe, etwas zu ändern, hatte er schon lange zuvor genug gehabt. Das ist schon alles-… Es bleibt ihm suspekt.

Zunächst kamen aber noch viele Prisen. Und meistens geschah dann doch wieder nichts (oft auch in metallischem Lila schimmernd) und dann…


Kehren wir zurück zu den Freunden des Mondes.
Der Sonnenkrieger bleibt Sonnenkrieger, sagen sie.

Er wisse es nicht zu schätzen wie sie, sagen sie; würde es nicht verstehen, sagen sie … vermutlich haben sie recht…, nicht?
Er könne nicht einfach den Tag zur Nacht machen, er kann nicht einfach “so sein” und dann “so reden” und dann noch verlangen, dass man ihn verstehe. Raubbau am Mond sei das dann. Er kann nicht, immerzu nach dem Licht streben und die Dunkelheit fühlen, echt fühlen – da bräuchte es schon auch Dunkelheit in ihm. So einfach sei das nicht. Und so wie er nun mal sei, sei da keine Dunkelheit in ihm. Das war doch nicht zu übersehen.

Bestimmt, mit ausgestrecktem Finger verweisen sie auf das Bild vom Baum, der nur zum Himmel reichen kann, wenn die Wurzeln hinabreichen bis… und – diejenigen unter ihnen, wüssten eines ganz sicher: – seine Wurzeln reichten nicht…-

“Ganz sicher… ganz, ganz sicher…”


Und so schließe ich die Augen.

Und so schließe ich die Augen, höre nur die leise japanische Musik, achte weder auf zarte Geschöpfe noch finstere Gestalten und höre nur die leise japanische Musik, wie sie mir in den Ohren dröhnt.

Und ich springe. Die Luft ist kalt im Fallen und, auch wenn ich nicht aufprallen kann, entzieht sie mir alle Wärme. So wird es noch kälter, je stärker der Luftzug wird. Es ist schön – ich habe doch so viel davon und mir ist ohnehin zu warm. Zieh’ ruhig, entzieh’ mir ruhig noch ein wenig Wärme, ich habe doch so viel davon, lass uns spielen. Hah! Ja, lass uns spielen!
Es ist so schön kühl. Zieh’!

Und ich, noch immer Sonnenkrieger…, will allein sein mit der Nacht.

Ja, sie zog die Vorhänge hinter sich zu als sie hereinkam, verführte mich, aber auch ich… ich schatte das Licht jetzt ab, ließ mich verführen.


Ich schatte das Licht ab.
Und dieser Satz, “Ich schatte das Licht ab.”, bekommt ein Eigenleben… im Mund, verknotet die Zunge, liegt wie eine formbare Murmel mal auf, mal unter der Zunge und sie, die Zunge, spielt sich mit ihr, der Murmel, genauso wie die Murmel mit der Zunge (… vielleicht… spielen sie sich wie rasend-schnelle, formbar-feste Murmel-Löwen mit ganz normalen Zungen-Hauskatzen, die überraschenderweise trotzdem gerade genauso schnell sind wie die Löwen, und dann huschen die zwei Spielgefährten wie Sternschnuppen über Zäune hinweg, aus dem Garten hinaus…)… ähm… vielleicht… wie auch immer… ich kann nur sagen, was passiert: der Satz, “Ich schatte das Licht ab.”, bekommt ein Eigenleben und verändert sich:

Ich… ich schatte das Licht ab. Es soll dunkler werden.
wird zu:
Ich… ich schatte das Licht ab – ein Schatten, das Licht: ab.
Und dann:

Es tritt ab.


Es soll noch dunkler werden.
Ein Schatten. Das Licht: ab.

Es soll noch dunkler werden.
Ein Schatten. Das Licht: ab.

“Ein Schatten. Das Licht: ab.”, so steht er jetzt da. Das Licht war abgetreten, der Schatten steht da.


Ein Schatten.
“Ich bin ein Schatten.”, sagt er. “Ich flackere im warmen Licht.”, sagt er.

“Hallo Schatten… … des Sonnenkriegers, da bist du also… ich… habe immer gewusst, dass es dich gibt. Da bist du also. Hallo Schatten… Ich habe dich gesucht. Ich… will nicht so tun, als würde ich dich verstehen… ich… habe Angst, schlimmes, gefährliches Verbrechen zu tun; habe Angst, nicht zu wissen, was ich da entfessle, wenn ich sage: Ich suche dich, habe dich gesucht; habe Angst, weil ich nicht weiß, was ich da sage, wenn ich sage: ich suche dich und will dich verstehen… weil ich nicht, weiß, was mir da bevorsteht – wie kann ich da sagen, dass ich es will?… – … Ich … habe Angst, dass dann… all das Leid umsonst ist; habe Angst, dass ich nur einem Gespenst hinterherjage – doch nur ein Hirngespinst; habe Angst, dass ich dich nicht finde und noch mehr, dass ich dich, wenn ich mal ehrlich zu mir bin, gar nicht suche… … dass alles nur gespielt ist, nichts echt… Aber… vielleicht ist das wieder wie das mit dem vorschnellen “Nein, man darf sich dann sicher nicht echt ‘mutig’ nennen.”… vielleicht darf ich mir auch hier… ein bisschen echte Suche schon eingestehen… ein Anfang (und nur der)… ist vielleicht gemacht… vielleicht … Hallo Schatten?… Ich… ich habe immer gewusst, dass es dich gibt. Ja: Das… kann ich sagen.

Ich… Hallo Schatten… ich will… ich bin aber… nein, ganz deiner… werde ich auch n-… Nein… Hallo Schatten? Nein, das bin ich auch nicht. Ich habe nur immer gewusst, dass es dich gibt. Du warst immer da. Hallo Schatten… ich will dir so viel sagen, so viel erzählen… so viel fragen will ich dich… ich-” 

“Ich bin ein Schatten.”, unterbricht er.

Und tritt (nicht ganz) ab,  (… wie Schatten eben abtreten – so sehr sie auch abtreten, können sie noch immer hinter der nächsten Ecke lauern) bleibt aber auf mir liegen… wie eine schöne, kühle Decke. … “Schatten…?… Danke?… Ich? Schatten?…”


Ich mache die traurige, leise Musik so laut, dass auch noch in den Pausen das Dröhnen der Kopfhörer alle Geräusche ausschließt. – Manche Musik bleibt immer leise, egal wie laut sie ist. …wie schön diese Musik ist. – Jetzt verbinden mich nur noch die Erschütterungen mit der Außenwelt, dieser rüpelhaften Außenwelt.
Bitte – jetzt – keine – Erschütterungen. Bitte – jetzt – keine – Außenwelt!


♫  ♫ ♫ ♫ ♫ ♫ ♫ 


Nein!


♫  ♫ ♫ ♫ ♫ ♫ ♫ 


Und wie das so ist, lassen sich Außenwelten, diese grausamen Geschöpfe, von derlei Befehlen nicht aufhalten. Und so weicht mit der hereinströmenden Außenwelt die schöne, kühle Decke… – nein… bleib’ doch noch. Aber… auch schöne, kühle Decken sind launenhafte, zarte Wesen, schöne Wesen, begehrte Wesen, sich in schwarz-kleidende Wesen – es liegt wenig Beständigkeit in ihrer Natur, versuchst du sie zu halten…, schweben sie hinfort – unaufhaltsam wie sicht- aber nicht greifbare Federn, die… direkt vor deiner Nase dem Boden entgegengleiten.

Und eine angenehme Stimme im Kopf summt: “Ein dunkler Flügel weilt.”, weil die Feder in ihrem Gleiten an sanft weilende Flügel erinnert und diese, sich in schwarz-kleidenden Wesen, dies, sich in Schwarz Kleiden, nicht von der “Mode Schwert geteilt” taten, sondern aus einem Lebensgefühl heraus, ‘schon immer‘, taten. Ein wesentlicher Unterschied.
“Etwas aus einem Lebensgefühl heraus tun…”, wiederhole ich beeindruckt, fast ehrfürchtig für mich.
Und die Stimme summt jetzt: “Bettler werden Fürstenbrüder.”

Auf Wiedersehen, schöne, kühle Decke.


Ein Schatten, das Licht tritt ab.
“Hallo Schatten… ich… will dir doch noch so viel erzählen… ich-” “Ich bin ein Schatten.” “Nein, du verstehst es nicht, ich bin doch auch… ich kenn’ dich doch… geh’ nicht… ich-” “Ich bin ein Schatten.”

… hab doch noch so viele Fragen… Ich will dir doch noch so viel sagen… aber: … Schatten halten wohl nicht so viel von diesem ganzen Gerede… meinem ganzen Gerede… oder meiner tut es nicht. Er will fühlen… und ja… dann eben….

ENDE.


Und nach einer (erneuten) Pause, folgt jetzt noch ein:

(Optionales) Nachspiel für den Kopf (und seine Freunde).(Nachspiels Name ist treffenderweise übrigens ‘Epi’; er ist ein ein wenig schauriger, aber durchaus positiver Zeitgenosse (das Schaurige seiner Ausstrahlung hat er sich hart und bewusst erarbeitet, um seinen etwas albern klingenden Namen zu kompensieren). Er würde gern als Bilder im Kopf in Erinnerung behalten werden, wenn man gerade mal wieder vor einem abenteuerlich verschachtelten “Soll ich das jetzt einfach machen, obwohl… … aber…” steht. Einfach, weil er Bilder selbst so gerne mag und an denen immer so viel hängt… und weil er mit seinem Leben doch unbedingt irgendetwas erreicht haben will, irgendetwas zumindest für ein paar Menschen schöner gemacht haben will. – Er will trotz seines Namens ernst genommen werden und will, dass man hinter die Fassade sieht, dass da doch jemand steckt, der wirklich versucht (sein Bestes zu sein) auf ganz ehrliche und ernste Art und Weise.)

Nachspiel
Eine schöne, kühle Decke. Ein sich aufrichtender Kopf. Eine unheimliche Grinsekatze.

Ein Schatten. Das Licht tritt ab, brennt auf – es darf auch einmal schmerzen -, wärmt, leuchtet.
Ein Schatten… kühlt, tritt nie auf, legt sich nur auf, ummantelt und verhüllt, verdeckt und bewacht; schützt und verbirgt… eine Kraft.
Ein Schatten.
Das Licht tritt auf.
Ein Schatten, es darf auch einmal schmerzen… und ein wenig mehr.
Und das nächste Mal dann noch ein wenig mehr.
Und noch ein wenig mehr.
Und noch ein wenig mehr.
Und dann… ein Schatten, das Licht trifft auf… einen Schatten.
“Hallo Schatten.”

Ein Schatten.
Es darf… – schön.
Das Licht tritt ab.
Ein Schatten.


Eine schöne, kühle Decke. Ein sich aufrichtender Kopf. Eine unheimliche Grinsekatze. Eine neue Kraft. Und ein Schatten. Und ein Licht. Und ein Schatten. Und-

Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, entriegelt die Tür. Eine Hand legt sich auf einen Türgriff. Ein Mensch öffnet die Tür und steht … vor der Welt; steht entschlossen vor der Welt.

Groß, blau und grün sieht er sie vor sich – in so vollen Farben, wie sie eben aus dem Weltall, vor dieser gähnenden Leere und mit all der Schwärze um ihn und sie herum, leuchtet.

Eins.
Rechts schwebt die Grinsekatze.
Zwei.
Hinter ihm wartet die schöne, kühle Decke sehnsüchtig auf seine Rückkehr… ja… fast schon wie ein zartes Geschöpf… liegt sie da… als würde sie-.
Drei.
Schwer, aber auch halt-gebend, angenehm auf-Schultern-lastend und in-der-Welt-haltend, im Gepäck: ein Schatten.
Los.
Der Mensch, sein Schatten und die Grinsekatze setzen sich in Bewegung: hin zur Welt.