Foto von Aziz Acharki auf Unsplash
Das Vorwort hier vertont.

Die Begrüßung überspringen wir. Sofort zur Sache! — direkt zum Vorwort — als wär’s das einfachste der Welt. 


Seit ein paar Monaten gehe ich zu einem MeetUp namens “Shut Up & Write!”, das auch in München stattfindet. — Aha. 

Da trifft man einige eher ungewöhnliche Menschen… Menschen, die samstagmorgens schreiben… solche Menschen trifft man da. — Oho. 

Und dann redet man kurz ein wenig, sagt woran man heute schreiben wird und dann wird upgeshuttet und gewritet. — Mhm.  

Seit gefühlt noch viel mehr Monaten lese ich — wie man hier ja, nachdem ich es in gefühlt (und wohl auch ungefühlt) jedem aktuelleren Text zitiere (-ichgelobeBesserung-), nicht umhinkommt zu bemerken — auch dieses Buch von Nietzsche: “tageszeitliche Ausprägung einer Farbe” oder so ähnlich.

Einmal las ich dieses Buch auch im Zug und, wenn ich mich recht entsinne, irgendwo zwischen Grafing und Ostermünchen, stand da in einem Aphorismus, der sich als ‘Gespräch über Musik’ bezeichnet, Folgendes: 

A und B unterhalten sich. 

“A: […] Darf ich einige Worte zu dieser Musik machen? Und Ihnen auch ein Drama zeigen, welches Sie vielleicht beim ersten Hören nicht sehen wollten?” *

Da denkt man sich vielleicht erstmal: ‘C: Hmm. Ja. Das dürfen Sie.’ Ja. Auch ich dachte erstmal: ‘C: Hmm. Das dürfen Sie.’ Weiter, dachte ich dann: ‘Übereifriger D: Halt Stop! Nein. Darf ich Ihnen einmal einige Worte zur Musik machen?’ Dieser D drängelt sich weiter vor, mimt — wie er es so gerne tut — umständliche Sprache nach und meint weiter: ‘Man lasse mich versuchen!’ Ein kurze Pause — gerade lang genug, dass ihn niemand unterbricht. ‘Wie wär’s denn zum Beispiel mit He Films The Clouds Pt. 2 von Maybeshewill und East Hastings von Godspeed You! Black Emperor. Darf ich Ihnen mal einige Worte zu dieser Musik machen. Wie wär’s denn zum Beispiel mit einer Geschichte? E: Hervorragende Idee! D: Ja, Danke, finde ich auch, insbesondere in Betracht dessen, dass A ja bereits von uns gegangen ist. Seitdem ist er ohnehin sehr geduldig geworden. A: Jaja, kein Problem. Das bin ich. Macht ihr nur, ihr Jungspunde.’

In etwa das (natürlich so gar nicht wirklich das) dachte ich also. 

Da steckt doch wohl eine Geschichte drin, die man vielleicht beim ersten Hören nicht sehen wollte, aber da ja wohl doch ganz und gar eindeutig und nur so in dieser einen Ausprägung, wie ich sie da finden werde, drinsteckte. Ich müsste sie ihr nur entlocken und dann könnte ich wieder alles austricksen und Menschen würden denken, ich! wäre kreativ, wobei ich! doch nur beschrieb, was da für eine Geschichte in der Musik drinsteckte. 

Ich stimme E somit zu: Eine hervorragende Idee. 

Und um diese beiden Geschichten geht es in diesem Text natürlich heute nicht. 

Ich erwähnte bereits, dass bei diesem “Shut Up & Write!” auch andere Menschen sind. Einer von ihnen heißt zum Beispiel Dave. Dave komponiert Musik. Und bei “Shut Up & Write!” schreibt er manchmal Lyrics für seine Musik. Dave und ich hielten es beide für eine coole Idee, wenn ich einmal eine Geschichte schreiben würde, die da in seiner Musik zu finden wäre. 

Und zwei Wochen später nahm er mir eine Aufnahme von sich mit. “Piano.wav” Und darum geht es in diesem Beitrag. Denn das Folgende ist dabei rausgekommen. 

Die Audioaufnahme enthält zudem Dave’s Musik und die Geschichte lese ich dazu.


Musik von © David Anton: 00:00 ‘Conte d’une fee’, ab 06:06 ‘Soireé noire’, ab 14:40 ‘Coulant’. 

*Aphorismus 255 — Gespräch über Musik. Von diesem F. Nietzsche. 


Das sind Bilder von Miriam Cahn, deren Titel ich nicht verraten will, weil ich sie schön finde, den Titel aber nicht und wenn ich ein Mensch wäre, der Titel ernst nimmt, dann würde ich sie mit Titel weniger schön finden als ohne. So arbeite ich gerade an meiner Masterarbeit und finde, dass sie — wenn auch nicht zum Anfang —  trotzdem gut zum folgenden Text als Ganzes passen. Weil aber natürlich alles einen Namen haben muss, nennen wir die Bilder einfach “Getier”. Das reimt sich zumindest auf 104. 

Audioversion der Geschichte mit Musik von © David Anton. Das Copyright für die Musik liegt bei Dave und das Copyright für meine Stimme im Hintergrund (wer will das schon?) bei mir. Was haben wir nicht alles für Rechte – wo bleibt da die Verantwortung?

Jemand sitzt noch eine Weile in seiner (oder ihrer) nicht nur heimeligen, sondern sehr heimeligen Blüte. 

~00:45

Er (oder sie) steigt noch etwas verschlafen, aber erpicht die Welt zu entdecken aus seiner (oder ihrer) — das sei noch einmal hervorzuheben: — sehr heimeligen Blüte; summt so los, immer in Richtung ihrer eigenen Aufbruchsstimmung. 

Wie der Herzschlag eines Menschen auf dem EKG Ausbrüche nach oben auslöst, so hat sie auf ihrem Weg in Richtung Aufbruchsstimmung immer wieder kleine Ausbrüche nach unten, mal auch nach oben, aber meist nach unten, nur um in der nächsten Sekunde immer wieder ihren Weg weiter fortzusetzen. Unter ihr sieht sie ein paar Wanderer auf ihrem Weg, wie unter Wanderern üblich, entlangwandern und betrachtet sie, wie auch die Blüten, Bäume und das Gestrüpp, die alle im Wind hin- und hertaumeln, neugierig. In ihrem Flug wird sie immer schneller, steigt immer höher und so lässt das Fliehen zurück in die Melancholie nicht lange auf sich warten. 

~2:04 — — langsam:

Sicher ist sie sich dabei allerdings nicht: War das nun ein Fliehen zurück in die Melancholie oder hatte die Melancholie sie einfach überkommen. ‘Wie auch immer’, denkt sie, fliegt weiter.  

In dieser Stimmung verbleibt sie zunächst erstmal eine Weile auf ihrer Höhe und lässt sich in ihrem Wind (dem Wind der Melancholie) treiben; von ihm hin und her wehen. 

Es überkommen sie Zweifel: Warum war sie ein Jemand, wenn sie doch alles sein konnte? Ja, warum gerade dieser Jemand — … — wo sie doch alles sein konnte. 

~ 3:10

Deshalb… nun zumindest auch deshalb… und weil es ihre Art war, landet sie auf einem kleinen Korkstück und verpuppt sich dort. 

Er (oder sie) wartet eine Weile, geschützt in seinem (oder ihrem) Kokon, vernimmt die gedämpften Töne der Außenwelt: ‘Was da wohl vor sich geht?’ Er (oder sie) hält ein Ohr an die Innenseite des Kokons gedrückt. Lauscht. 

Lauscht und lauscht. ‘Was passiert da denn alles um mich herum?’ Ein einzelner Regentropfen klopft sanft an und versickert langsam in ihrem Nest. 

Auch sie hatte immer gedacht, dass der Großteil des Lebens eines Regentropfens im Fallen bestehen würde, aber: weit gefehlt. Was der Tropfen da berichtete: So ein Regentropfen kam herum. 

Und was man alles vorbereiten konnte, um wieder zum Himmel aufzusteigen; und später von ihm hinabzufallen… das war eine ganze Geschichte für sich… aber irgendwann fiel man dann eben und verdiente sich seinen Namen. 

So berichtete der Regentropfen zum Beispiel davon, wie er einmal von einem Wasserfall eine riesigen Klippe hinuntergefallen war, unter ihm ein paar eingeschirrte Pferde, eine Ziege und ein zunächst handschuhgroßes Bauernhaus, das immer größer wurde. 

Als mutiger Tropfen wird man dann von einem riesigen Wasserfall die Klippe hinunter, auch mal vom Wind hinfortgetragen — in Wolkenwellen geht es… entlang den glatten Fels. 

… 

Dann landet man mit einigen wenigen seiner Freunde auf der flachen Seite einer Sense und sieht denen seiner Freunde, die der Wind auch zur Sense getragen hatte, beim Fallen und Tröpfeln zu. 

Alles, was der Tropfen da so hörte, die schöne Melodie: das laute Brummen seiner unmutigen Freunde in der Ferne, das Klimpern der wenigen, die mit ihm auf die Sense fallen, das Schleichen eines Fuchses im Geäst und das Wehen des Staubes unter ihm, das bezeichnete der lebenserfahrene, aber nicht besonders gebildete Regentropfen als «Gesang der Geister über den Wassern». 

Kurz merkte er noch an, dass er schon ein bisschen stolz war, dass er — nachdem er das nun so lange geübt hatte — all das mit seinem Sickern berichten konnte. Damit war ihr Gespräch dann aber auch vorbei und unser Jemand lauscht weiter in ihrem Nest. Denkt über die Worte des Regentropfens nach. 

~ 6:06

Irgendwann bricht er (oder sie) aus; … spaziert, wie ein Spaziergänger, in einem dunklen Regenmantel seine (oder ihre) gewohnte Runde. Regentropfen prasseln nicht, sondern tröpfeln nur auf den schützenden Regenmantel und sein Blick wandert zu der Burg, die immer düster wirkt und jetzt gerade, in den Abendstunden, ihre volle Schönheit entfaltet; ruht dort eine Weile auf ihr; irgendwann schließt er die Augen und sieht sie nur noch vor seinem geistigen Auge glimmen. Die Dunkelheit glimmt, ganz wundervoll schön: was für ein Anblick! Die Konturen der Burg pulsieren vor seinem inneren Auge, glimmende Dunkelheit lehnt sich gegen dunkle Dunkelheit auf— aber, keine Angst, die zwei vertragen sich bald wieder und er beginnt seinen Ausflug zu ihr: 

~ 9:00

Er wandert durch die Korridore. Alles einsam und verlassen. 

~ 9:30

Bald bemerkt er, dass ihn eine kleine Hausmaus aus ihrem Loch, rechts in der Wand, beobachtet. Wie lange war sie denn schon da? War sie schon immer da gewesen? 

Er beschließt sich mit ihr zu unterhalten. 

Selbstverständlich unterhält man sich mit Hausmäusen nicht in Worten. Er blickt nur hin zu ihr, dann folgt sein Körper ruhig der Bewegung seiner (gerade wieder einmal sehr alten) Augen: wendet sich auch hin zu ihr. Solche alten Augen kennt die Hausmaus bereits. Woher, kann ich ihm leider nicht sagen. Und weder er noch ich wissen, ob er es überhaupt wissen möchte, könnte ich es ihm verraten. Doch die Hausmaus schätzt seine alten Augen sehr. 

~ 11:30

Die beiden unterhalten sich eine Weile. Minuten verstreichen, Stunden verstreichen, so viel haben sich die beiden zu sagen. Ganz ohne Worte. 

~12:05

Irgendwann finden sie sich auf die Südterrasse der Burg steigen. Sie stehen am Geländer, beide blicken in das Tal und er legt seine Hand auf ihre Hand. Jetzt: Schweigen beide; manchmal auch allein. 

Mit ihr kann er es sogar allein genießen, einfach nur zu beobachten. Er fragt sich: Ist das nicht genug?; sich umzusehen, zu beschreiben, was er sieht, und, nun, da wird das Gedankenmachen ohnehin nicht ausbleiben, nicht? 

Doch, doch… das war genug. Jetzt verstand er es, dass es so genug sein konnte einfach nur in einem Café zu sitzen, wenn er sie nur dabei hatte; jetzt verstand er all die Großen, wie sie sich keine Gedanken machen mussten, ob es denn genug sein würde, ob sie denn genug waren; wie sie sich niemals hatten Gedanken darüber machen müssen, zu den Großen zu gehören. 

~ 13:38

Für einige Zeit verliert er sich in Beobachtungen, all der Schönigkeiten um ihn herum, verliert sich und seine Musik aus den Augen. 

Er fliegt in ein Café, sieht dort eine Autorin, wie aus dem Buch gestiegen, die in die Luft blickt und, als würde sie noch irgendetwas brauchen, um Autorin zu sein, Ausschau hält; 
er fliegt in eine Bibliothek, sieht dort eine Pharmaziestudentin sitzen, die die Beine auf den Stuhl neben ihr packt, und am liebsten nichts, aber auch gar nichts, von sich ahnen würde; 
er fliegt in einen Park, sieht dort eine Dreijährige, die tollpatschig dem Frisbee hinterherläuft, um es dann, stolz über ihre großherzige Tat, ihrem Bruder, dem Fünfjährigen, zu überreichen. 

Irgendwann kehrt er zurück zur Musik und seinem Platz, zu sich, neben ihr und blickt, diesmal bewusst, ins Tal. 

~14:45

Er (oder sie) nimmt seine (oder ihre) schönste Form an. “Endlich.”, freut er (oder sie) sich. Gelöst: da ist kein Summen mehr, kein wilden Erwartungen… gelöst. Er ist ein bisschen stolz auf sich, dass nach all den schönen Formen, diese jetzt an letzter Stelle kommen sollte; ziemlich viel wurde akzeptiert, fast genauso viel ausradiert. Es ist seine Geschichte und er freut sich, wenn er auch so vieles nicht kontrollieren konnte und kann, sie doch so zusammengesetzt zu haben. Wie die kleine Biene zu Beginn, wabert er jetzt kurz in seiner Geschichte hin und her, lässt den Herzschlag kurz aussetzen, genießt die Unsicherheit. 

~ 15:30

Sie sitzen auf dem Geländer, seine Hand ruht auf ihrer. Was hatten sie nicht alles zusammen erlebt? 

~ 15:45

Die Finger spielen sich miteinander, ein kurzes Kräftemessen, um die Vorherrschaft einzelner; ein längerer Tanz; ein festes Ineinandergreifen der Hände. Und dann der Gedanke: “Das hätte ja für eine Unzahl an Leben gereicht.” 

~ 16:30

Vielleicht war da etwas Wahres dran. 

~ 17:50

Er spürt den schönen Druck auf seinem Herzen, den ihre Anwesenheit auslöst, schmunzelt über seine verkrampfte Suche, schmunzelt darüber, dass er es (und doch wieder nichts) doch schon geahnt hatte, schmunzelt über sich und die Welt, schmunzelt darüber, wie viel Glück er gehabt hatte, schließt die Augen und taucht in die Wellen der Musik seiner Welt ein. Was war das alles schön verletzlich? 

~ 19:50

Er lässt sein Herz noch eine Weile schlagen: … langsamer und immer langsamer.