Ein anderer Begriff für Personal Development?

Foto von Xan Griffin auf Unsplash

tl;dr

Ein neuer Ausdruck, der große Teile von Personal Development (Bücher, Texte und noch mehr Beiträge; Erfolgsformeln, Rituale und immer neue Performanceinsights; Lifeloving, attractionlawing and even more intensive blissfollowing, etc. ) zusammenzufassen versucht, damit aber auch aufzuzeigen, dass es bei Persönlichkeitsentwicklung um mehr geht.


Vorab:
Der Beitrag ist mir ein wenig zu cocky geraten. Gerade, wo ich dem Begriff doch eigentlich das von oben darauf Hinabschauende nehmen wollte.

Jetzt verwendet er aber so Wörter wie ‘Suprematie’ oder gar Wortkombinationen wie ‘“Bodybuilding motivational caption, Ayn Rand — perform or die”eske Seite des Personal Developments’. Was soll denn das? Muss sich da jemand durch seine Wortwahl profilieren? Vermutlich. Und vermutlich versucht er (selbstverständlich: der Beitrag) sich damit auch abzusetzen… von einem Rest abzusetzen; versucht, besonders zu sein, obwohl er doch auch (nur?) Teil von dieser ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie ist. Als solcher hat er aber doch eigentlich gar keinen Anlass cocky gegenüber seinen Mitbeiträgen aufzutreten. Und doch tut er es. Er entschuldigt sich aber schon einmal vorab. Ursprünglich wollte er nur einen Begriff und den sogar noch halbwegs neutral vorstellen. Dass er jetzt so geworden war, ist alles die Schuld des Autors. Der scheint mir wirklich allerlei Problemchen hinsichtlich Selbstbild und -darstellung zu haben. Es ist manchmal wirklich ein Graus, sich mit ihm einen Kopf teilen zu müssen. Aber jetzt bin ich ja frei. … Zum Schluss musste er (“selbstverständlich:” der Autor) mir erstmal noch eins auswischen und mich als cocky bezeichnen! Das sieht ihm ähnlich!


Oh… no. Ein Text, den ich hier sicher nicht schreiben will.

Es geht um einen Ausdruck, der mir vor ein paar Monaten beim Spazieren mit einem guten Freund rausgerutscht war: ‘Erwachendes Blumenfeld’-Psychologie. 

Auf der Busfahrt unseres Gesprächs hin zu diesem Ausdruck hatte es zwei Haltestellen gegeben: an der ersten stand eine junge Frau, die einige Zeit zuvor im Flieger neben uns Carol Dwecks “Mindset” gelesen hatte, an der zweiten saß ein erschöpfter, junger Familienvater, den Kopf gegen einen Kinderwagen gelehnt. 
Er hatte zwei Schnuller in der rechten, vor allem aber ein Buch mit dem Titel “Am Arsch vorbei geht auch ein Weg: Wie sich dein Leben verbessert, wenn du dich endlich locker machst” in der rechten Hand. 

Als ich also in diesem Gespräch den Ausdruck ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie sagte, wurde gelacht: “Wo hast du den denn her?” “Das war mir grade so eingefallen […], weil ich mit dieser Art von ‘psychologischen’ Büchern, tiefgreifende Zitate in verschnörkelter Schrift vor einer Blumenwiese im Sonnenaufgang bei Instagram verbinde.”


Ich glaube, viele Jahre in denen ich selbst solche oder so ähnliche Bilder erstellt und gesehen habe, haben mir diesen Iphonescreen vor Augen beschert. 

Foto von Milos Tonchevski auf Unsplash — Schriftzug von mir eingefügt.

Einige Gespräche und die sich mit der Zeit einstellende Langeweile und Enttäuschung über die sich immer wiederholenden Plattitüden, die Eintönigkeit und die Scheuklappen innerhalb der Literatur, haben ihm wohl seine süffisant abwertende Note verliehen. 

Und obwohl ich die ganzen schönen Bücher und Texte gar nicht so abwerten will, blieb es trotzdem dabei, weil der Ausdruck damit für mich einen angenehmen Kontrast zu der manchmal implizierten Suprematie im Achievementgewerbe darstellt. 

Und sogar, wenn man über den Teil spricht, der zum Deabonnieren von Newslettern und Ins-Handeln-Kommen auffordert, beinhaltet der Ausdruck wenigstens bei einem weiterhin praktizierenden Successhabiter ein selbstironisches Element. 


Und ich gebe zu, dass ich so ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie Zeug noch immer mache. Ein Beispiel gefällig? Erst letztens nahm ich mir abends eine Kerze, setzte mich zwanzig Minuten vor diese und fragte mich: “Was will ich?”. 

So in etwa, sah das aus. Und… Gainz… die Antwort war G-A-I-N-Z. (ft. Moodywalk & Unsplash)

Trotzdem kann ich heute aber leider die folgende, schöne, mit vielen Ausrufezeichen und gelben Markierungen versehene Passage aus James Allens “As a Man Thinketh” nicht mehr mit dem selben lebensvorfreudigen und zuversichtlichen Herzen lesen. 

 A man should conceive of a legitimate purpose in his heart, and set out to accomplish it. 

He should make this purpose the centralizing point of his thoughts. 

It may take the form of a spiritual ideal, or it may be a worldly object, according to his nature at the time being; but whichever it is, he should steadily focus his thought-forces upon the object, which he has set before him. 

He should make this purpose his supreme duty, and should devote himself to its attainment […]. 

This is the royal road to self-control and true concentration of thought. 

Even if he fails again and again to accomplish his purpose (as he necessarily must until weakness is overcome), the strength of character gained will be the measure of his true success, and this will form a new starting-point for future power and triumph.

James Allen (2016: 26; Absätze von mir zur besseren (Vor-)Lesbarkeit hinzugefügt)

… Obwohl es sich doch so gut anhört. 


Ich könnte jetzt anhand von dieser Quote an dreier-… vermutlich nochvielmehrerlei Dingen ansetzen, um einen Beitrag performend voranzutreiben. 

Zunächst (1) dass meine heutigen Zweifel ja tatsächlich nur Weakness ist, die es zu overcomen gilt. Um das also noch einmal zu versichern: Ich bin noch immer für das Overcomen von Weaknessen. (Außer natürlich die Weaknesses, die als Teil von Vulnerability zu Relationshipimprovements führen.) 

Dann ruft eine Stimme aber auch: Wenn (2) alle Zweifel gemäß Definition Weaknesses sind, die es auf einem Weg zu einem einmal festgesetzten Purpose zu overcomen gilt, dann wird da meinem 21-Jährigen Purpose und Lifegoals setzenden Ich eine Herrschaft über all meine zukünftigen Ichs gegeben, die ihm, obwohl ich doch noch einiges an Sympathie für es hege, nicht zusteht. … Sorry, Boy — no freiwillige Knechtschaft for me…eee. 

(3) Dass man im folgenden Life mit so viel Starrsinn und Scheuklappen durchs Leben gehen muss, dass das dann aber nicht mit dem an anderer Stelle in der selben Literatur angedachten, zu sich selbst ehrlichen Weg vereinbar ist.(Ich weiß schon: Wenn du so viele Bücher, die alle dann doch Unterschiedliches sagen, über einen Kamm scherst, muss es ja Ungereimtheiten geben, Marco. Selber Schuld.) 


Von den dreien wurd’s nun dieser Scheuklappen-Ausschnitt, um den Beitrag performend voranzubringen. Denn diese Scheuklappen sind für mich ein großer Teil von eben jener ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie in beiden Formen. 

Form eins als die 
“Just follow your bliss, law of attraction, look how beautiful life is”eske Seite 

und 

Form zwei als die 
“Bodybuilding motivational caption, Ayn Rand — perform or die”eske Seite. 

Form eins ist wohl das, was man zunächst darunter erwarten würde und was wohl besser zum Phrasenbild — ?‘erwachendes Blumenfeld’? — passt; dass es aber um sich zu entwickeln, nicht mehr braucht als nur seinem Bliss zu followen, ist mir abwegig genug, um dazu keine weiteren Worte zu verlieren. 

Form zwei fällt genauso darunter und repräsentiert beim Instagramscreen dann eben nicht den verschnörkelte Schriftzug im Bild, sondern die markante Caption in der neutralen San Francisco-Font darunter, die darauf aufmerksam macht, dass man schon auch etwas dafür tun muss, dass das Law of Attraction seine volle Wirkung entfalten kann. 

~’Aber ganz so einfach ist das nicht, meine Freunde. Nein, ihr Lieben, es gehört viel Arbeit dazu, seinen Traum zu verfolgen. 
– Marc Ander, 21, meint es doch nur gut.’ 

Langsam sollte klar werden, was ich unter ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie* verstehe. Es sind die Formen von Personal Development, die für die breite Masse zugänglich aufbereitet, auf ihren Erfolgsformelschienen auf ein extremst individuelles Goodlife hinauslaufen: Personal Development Regale im Hugendubeln und Psycholgoie-Bücher auf Amazon-Bestsellerlisten. Auch dann noch, wenn sie sich bemühen balancierte Lebensentwürfe zu proklamieren. Denn sie können zwangsläufig, so angesprochen man sich auch fühlen mag, nicht dich betreffen. 

Und trotzdem: diese beiden Formen von Personal Development, die ich hier als ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie zusammenfasse, haben auch ihre Berechtigung. Ich denke noch immer sie sind gut für die Menschen und dachte sogar mal, sie wären so wichtig, dass ich als #PersonalLifeCoach Menschen zu ihrer Best Version of Themselves verhelfen wollen würde.


Eine dritte Form von Persönlichkeitsentwicklung

Aber über das Steigern von Performanceindaktoren hinaus, gibt es eine dritte Form von Persönlichkeitsentwicklung. Da helfen Freunde mehr als ein Life Coach. Wenig heroische PDF-Dateien, Erfolgsformeln und Workshops können nur bei den ersten Schritten helfen, danach sind Performanceindikatoren aber eher hinderlich auf dem Weg. Unser “starker” Held, der doch im Rahmen seines Personal Developments noch so stolz auf das Erreichen scheinbar vollkommener Kontrolle über sich war, muss seinen Stolz opfern, weil er erkennt, dass er doch nicht allein Herr im eigenen Haus ist. Gleichzeitig ermöglicht ihm das erst weiterzugehen, einen Schritt über Performanceindikatoren hinaus zu machen. 

Man merkt, ich beschreibe das hier psychologisch. Und das liegt wohl auch daran, dass ich diese dritte Form als das, was Jung den Individuationsprozess* genannt hat, bezeichnen würde. — Ok! … Individuationsprozess also!, die Formel einmal bitte, den ziehen wir jetzt knallhart durch! — 


Und nach Aufgabe der Alleinherrschaft über sich, kommt dann auch noch die folgende besch*ssene Nachricht: 

Auf diesem Weg stürzt auch der mutigste Held mal ab und scheitert. Nicht im Sinne von ‘Let no failure determine your life!, get up again!, and keep on fighting!’, sondern im Sinne ‘Jetzt ist es aus und vorbei — Klappe zu, Affe tot. Niemand wird je davon erfahren, dass er auf dem Weg war.’ … — Ey! Was soll denn das? Warum so viel Negativity? — Und darüber hinaus: Oft gewinnen auch am Ende eines Lifes noch die Faulen, die Nicht-Tugendhaften und die, die sich irgendwie durchmogelten. — Jetzt ist’s aber gut. — 

Beides blendet ‘erwachendes Blumenfeld’-Psychologie gerne mithilfe ihrer Scheuklappen aus. Natürlich, denn: Wozu sollte man so etwas denn auch erwähnen? [Und ich finde ja auch, dass das seine Berechtigung hat.

Um die Antwort geht’s hier nicht. Trotzdem ein kurzer Versuch: Wozu? Vielleicht, um mehr echte Helden und weniger naive, ignorante, sich für Helden haltende Kasperle herumlaufen zu haben. 

Und sogar am Ende eines heldenhaft beschrittenen Lebensweges mit einem ‘hunderte Jahre später redet man noch davon’-Achievement, stehen noch auf der Zielgeraden dann manchmal Menschen, die die Personal Development Literatur ihrer Zeit bis zum Ende ihres Lebens nicht als successful betitelt hätte; die ihren Weg, aber weiter gegangen waren als unser auf Instagram postender #PersonalLifeCoach MZ und viele unserer anderen successful people. 

(Beispiele waren wohl: Ayn Rand, Machiavelli, Nietzsche, Émilie du Châtelet, Van Gogh, vermutlich auch Oscar Wilde, …) 


To live is the rarest thing in the world. Most people [… quote Oscar Wilde from time to time]. 
That is all. 

Oscar Wilde
Foto von Milos Tonchevski auf Unsplash — Schriftzug von mir eingefügt.

Marco

P.S. für Terry Pratchett Liebhaber: ‘Erwachendes Blumenfeld’-Psychologie hat viele Schnittmengen mit der sogenannten Pschikologie. 

*Wenn man es mir recht machen wollen würde, könnte man dann noch versuchen, diesen Individuationsprozess von Jung zu durchlaufen, ohne dabei in allzu viel Esoterik zu ertrinken.