“Die Neuplatoniker nehmen an, daß die Menschen, die auf der Welt weniger vollkommen gewesen seien, nach dem Tode zu mehr oder minder vollkommenen Tieren würden, je nach Verdienst; diejenigen z.B., welche die bürgerlichen Tugenden in geringerem Maße geübt hätten [die Detaillisten], würden zu bürgerlichen Tieren, z.B. zu Bienen.” (S. 349)

Sören Kierkegaard

G_______ Parallelwelt
Beim Lesen dieser Zeilen kam ich nicht umhin, mich auf einmal in einer Parallelwelt wiederzufinden; einer grausamen Parallelwelt, die der unseren bis auf eine womöglich als gerecht vertretbare Kleinigkeit gleicht: dass besagte Neuplatoniker nicht nur recht haben, sondern, dass gar all die Tierchen auf unserer Erde einst Menschen waren, die ganz “nach Verdienst” in diese oder jene Verhältnisse gesteckt wurden.

Die Gedanken nehmen ihren Lauf
Das heißt jedes Tierchen, das gerade irgendwo kreucht oder fleucht, war einmal ein Mensch. Das heißt, jeder Mensch wird je “nach Verdienst” einst als so ein Tierchen wiedergeboren. Und das heißt, umso besser es das Schicksal mit dem Tierchen, das da gerade geboren wurde, meint, desto besser für den Menschen, der da neulich starb; das heißt, je schlechter es den Tierwelt geht, desto schlechter sind die Plätze, die da einst auf uns warten.

Und nehmen ihren Lauf
Ich weiß, es ist eine alte Vorstellung; ich weiß, es ist eine überkommene Vorstellung; ich weiß, niemand nützt es, wenn jemand leidet; weiß auch, dass die Gedanken, die darauf folgten, befangen waren, aber ich kam nicht umhin, an die Schweine, Rinder und Hühner auf den “Farmen” und Schlachthöfen zu denken, die zwischen den Leichen ihrer Artgenossen aufwachsen, in ihren eigenen Fäkalien leben und am Ende zusehen, wie ihre quietschenden Leidensgenossen erschossen oder aufgeschlitzt werden – während sie darauf warten, dass sie an der Reihe sind.

Und nicht allen geht es so schlecht wie diesen, aber

“Über 90% aller Säugetiere leben, um geschlachtet zu werden.”

Quarks, 2019

Lauf!
Ich fragte mich, was ist, wenn ich … in diesem Moment … so unvollkommen, d.h. so wenig meinem Wesen entsprechend, so fehlerhaft, so über meine Verhältnisse hinaus lebe, dass ich solch eine Leidensübung wie diese armen Wesen aufgetragen bekommen werde? In einer Welt, in der es alltäglich ist, dass das geschieht, in der es normal, der gesellschaftliche Default, ja sogar gewinnbringend ist: Was wäre, wenn es da gar nicht viel dazu bräuchte, so fehlgeleitet zu leben?

Ende
Naja … Ende. Das war der Gedanke, der mich beschäftigt (hatte); die Parallelwelt, in der ich mich wiedergefunden hatte.

Es bleibt mir nur zu hoffen … oder besser: mein Möglichstes zu tun, dass ich nicht so fehlgeleitet lebe.

Trotzdem sitze ich aktuell manchmal da und dann überkommt mich die Vorstellung, wie es ist, in so ein Leben hineingeboren zu werden: die Unausweichlichkeit mit der dein Leben zwischen einigen Stahlstangen diesen vorgefertigten, grausamen Verlauf nimmt; wo es vermutlich noch ein Glücksfall ist, wenn du früh unter dem Gewicht deiner Mutter erdrückt wirst … als sie sich umdreht – die einzige Bewegung, die sie machen kann. Dann hat es wenigstens ein schnelles Ende genommen.


Entschuldigung?
Entschuldigt den Beitrag … wie gesagt, es beschäftigt mich nur gerade … vermutlich weniger als es sollte, vermutlich hätte es das schon viel früher sollen … … wie einfach es ist, sich nicht damit auseinanderzusetzen. …

Hier ist ein Film dazu. Er ist schrecklich. Ich habe ihn noch nicht ganz gesehen.

Dominion (2018) – full documentary [Official]

Marco

Quellen

  • Sören Kierkegaard. (1843). Enten – Eller. Et Livs-Fragment, udgivet af Victor Eremita. [Übersetzung: Heinrich Fauteck; Herausgeber: Hermann Diem, Walter Rest. (2005; 12. Auflage 2014). Entweder – Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. Deutscher Taschenbuch Verlag: München.]
  • Quarks. (2019). So viele Nutztiere gibt es auf der Welt. https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/so-eindeutig-sind-nutztiere-in-der-ueberzahl/, aufgerufen am 29. Januar, 2023.