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Du erinnerst dich, M.: Kant setzt gegenüber dem Reinen das Empirische.
Wäre ich Nietzsche, erlaubte ich mir vielleicht zu schreiben: Diese Unterscheidung „kitzelt mein Ohr, und ich muss lachen“ (1887: 562). Ich bin es aber nicht. So erlaube ich mir den „alten Kant“ (ibid.) aufzugreifen, ihn dabei – vielleicht noch vermessener – zu entstellen:

Ich habe eine Freundin, der ich vielleicht die reinsten Gefühle entgegenbringe. „Wir lieben niemanden, nie. Wir lieben allein die Vorstellung, die wir von jemandem haben. Unsere eigene Idee – uns selbst also – lieben wir.“ (1982: 122) Ich frage mich häufig, ob das, was ich für sie empfinde Liebe ist. (Ich sage bewusst „Liebe“, nicht Agápe, Philía oder Éros.) Dass die Gefühle ihr gegenüber so rein sind, mag daran liegen, dass unser Kontakt nur sporadisch aufleuchtet und dann wieder weniger wird; sie weit weg in einem anderen Land ist. So mögen die Gefühle weniger vom Empirischen beschmutzt sein. Pessoa spielt das natürlich genau in die Karten: „Na, siehst du: nur eine Vorstellung.“, spricht seine überlaufende, ästhetische Seele in meinem Hinterherz. Und … einmal in meinem Leben kann ich mit Überzeugung erwidern … „Mag sein … na, und?“. Sie begleitet mich beinahe jeden Tag.

Versteh mich nicht falsch: Pessoas Aphorismus zur Liebe liegt mir nahe. Daher war er für mich leider auch mehr eine schmerzhafte Erinnerung als ein originärer Gedanke. „In der Stille der Nacht, lauschend aus dem Fenster, lange danach und lange davor – nur dann kann ich ja eigentlich mit dir allein sein.“, schrieb ich einst – in Anspielung auf das Tagebuch (vgl. 2014: 421).

Pessoas Gedanke war einer, den ich jener liebenswürdigen Leserin in mir, zu vergessen riet … um festen Halt zu finden, auf dem Boden des Ethischen; war einer, den ein Kind besser nicht in den Tagebüchern seines Vaters lesen sollte; seines Vaters, der am Abgrunde seiner Seele einen Verführer fand; seines vermaledeiten Vaters, der am Abgrunde seiner Seele einen Verführer fand: fallend zwar, doch lachend, laut lachend, ohrenbetäubend lachend: wie jene Katze zwischen deren Beinen … die Maus – … und fraß sie.


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Literaturverzeichnis